Taktischer Rückzug

■ Momper verzichtet auf ein Amt im neuen Berliner Senat

Eine Glatze ging um die Welt, jetzt geht sie unter. Berlins rot-grüne Koalition, die Walter Momper baute, ist zerbrochen und die von ihm geführte Berliner SPD nach einer verheerenden Wahlniederlage am Tiefpunkt ihrer Geschichte. Nachdem der Noch-Regierende seinen Verzicht auf einen Posten im neuen Berliner Senat verkünden mußte, scheint er mitsamt seinem roten Schal endgültig in der Mottenkiste gelandet zu sein.

Doch die Lumpensammler sollten sich vorsehen. In Wirklichkeit ist Mompers Verzicht eher ein Sieg des begabten Taktikers als eine Niederlage. Nach dem Bruch von Rot-Grün, nach dem Wahldebakel hatte in Berlin keiner mehr gewagt, einen Pfifferling auf ihn zu verwetten. Selbst seine Freunde sahen noch in diesen Tagen eine Mehrheit in der Partei für seinen ehrgeizigen Rivalen, den Fraktionschef Ditmar Staffelt. Eine Entscheidung zwischen beiden und ein Erfolg von Staffelt: Das hätte Schachmatt bedeutet für den König Momper.

Es bleibt beim Remis. Der Partei und den beiden Spitzen-Sozis ist es gelungen, sich einigermaßen unbeschädigt aus der nach den Wahlen ausgebrochenen Personaldebatte zu retten. Diese Diskussion trug ohnehin Züge des Absurden, war alles andere als eine Konkurrenz verschiedener politischer Richtungen. Momper, der mit seinen oft willkürlichen Befreiungsschlägen nach rechtsaußen den grünen Juniorpartner aus der Senatskoalition vergrault hatte, versuchte sich in den letzten Wochen wieder als der Bannerträger des linken Flügels und als „rot-grünes Symbol“ zu verkaufen. Vielen Linken klang immer noch Mompers Wort vom „Auslaufmodell rot-grün“ in den Ohren, sie blieben mißtrauisch. Doch Rivale Staffelt hatte Momper erst die Gelegenheit zu diesem überraschenden Kurswechsel gegeben. Auch er probte ein gewagtes Manöver: Den Linken pries er sich als derjenige, der hinter den Kulissen das wackelige Bündnis mit den Alternativen zusammengehalten hatte, oft auch gegen Mompers Angriffe auf den kleinen Partner. Nach der Wahl machte Staffelt aber auch den Rechten Hoffnung und deutete Korrekturen des Linkskurses an, den die Berliner SPD programmatisch immer noch hochhält.

Jetzt muß ein Politiker aus der zweiten Reihe die SPD in der großen Koalition vertreten. Der oft ungehobelte Momper bleibt den Christdemokraten am Kabinettstisch ebenso erspart wie der als integrativ geltende Staffelt. Ob das die Stimmung in dieser Vernunftehe hebt, darf trotzdem bezweifelt werden. Weder Momper noch Staffelt sind nun in die Kabinettsdisziplin eingebunden, sie haben Raum zur Profilierung von Partei und eigener Person. Die Rivalen haben lediglich die Konkurrenz um ein Senatsamt beendet. Das Wettrennen um die Spitzenkandidatur der Partei bei den nächsten Wahlen hingegen haben sie gerade eröffnet. Hans-Martin Tillack