202 Albaner werden amnestiert

Opposition verlangt weiter die Freilassung aller politischen Gefangenen / Vier Tote an der Grenze  ■ Von Roland Hofwiler

Zögerliche Freude hat in oppositionellen Kreisen die vom Präsidium der albanischen Volksversammlung vorgelegte Erklärung vom Samstag ausgelöst, eine Teilamnestie für 202 politische Gefangene zu erlassen. Doch die Freude wurde bald getrübt. Denn kaum war die Entscheidung getroffen, wurde bekannt, daß bei einem Fluchtversuch an der albanisch- jugoslawischen Grenze vier Personen erschossen wurden. Diese Albaner hatten das Gerücht gehört, ab jetzt sei es möglich, ohne Paß und Visa das Land zu verlassen und den Grenzübertritt versucht.

Bei den Amnenstierten handelt sich um Häftlinge, die „wegen Agitation und staatsfeindlicher Propaganda sowie wegen versuchter Flucht ins Ausland“ verurteilt waren. Schon vorher hatte der Justizminister die Zahl von 191 politischen Häftlingen genannt, die seit Juni letzten Jahres amnestiert worden sind. Man habe herausgefunden, daß „ihre Verbrechen gegen den Staat“ nicht so schwerwiegend gewesen seien, wie in der ersten Instanz angenommen.

Der Entscheidung vorausgegangen war eine Debatte im Parlament, während der vorgeschlagen wurde, ein generelles Amnestiedekret für all jene Personen zu erlassen, die wegen des „Verbrechens des illegalen Fluchtversuches“ mehrjährige Haftstrafen zu verbüßen haben. Während der Debatte wurde aber keine Angabe darüber gemacht, wieviele politische und Gewissensgefangene noch immer in den albanischen Knästen sitzen und ob diese noch vor den „demokratischen“ Wahlen freigelassen werden.

Der Sprecher der „Demokratischen Partei“, Genc Pollo, bewertete in einer ersten Stellungnahme die Amnestierung als positiv, forderte aber zugleich die Freilassung aller politischen Gefangenen. „Ich denke es ist ein gutes Zeichen der Regierung und von Alia, daß sie auf unsere ständigen Forderungen eingehen“, sagte Pollo. Denn die Opposition hatte zu Demonstrationen in allen größeren Städten des Landes aufgerufen, während denen das Problem der Gefangenen im Mittelpunkt stand. Pollo bezeichnete die Teilnehmerzahlen für Shkodra auf etwa 60.000 und in dem Adria-Hafen Durres auf mindestens 30.000. Immer wieder seien Sprechchöre erklungen in denen es hieß „Nieder mit der Diktatur“, „Freiheit“ und „Demokratie — jetzt!“. Hauptforderung seiner Partei sei es nach wie vor, die Verschiebung des Wahltermins vom 10. Februar auf Mitte Mai zu erreichen. Denn das Ziel der alleinregierenden KP sei es, der Opposition keine Zeit zum Aufbau eigener Parteistrukturen zu geben, um so, auch nach dem Wahlgang, weiter die Zügel der Macht mit absoluter Mehrheit in den Händen zu halten.

Nicht Polizisten sondern mit Maschinengewehren bewaffnete Soldaten patroullieren seit dem Wochenende in alle größeren Städten Albaniens. Solche Bilder waren in den Nachrichtensendungen im staatliche Fernsehen zu sehen, in denen gleichzeitig die Bürger zu Ruhe und Ordnung aufgerufen wurden. Denn zumindest in den Großstädten Korca und Elbasan sollen „Hooligans“ wiederholt die „öffentliche Ordnung“ gestört haben. Es soll zu vereinzelten Festnahmen gekommen sein. Dagegen werden keine Bilder von den Massenmeetings der einzigen oppositionellen Partei, der „Demokratischen Partei“ gezeigt, auch nicht erwähnt, was auf diesen Protestversammlungen gefordert wurde. Vom nun beginnenden Wahlkampf ist im Fernsehen demgemäß auch nichts zu sehen. Zumindest was die Opposition betrifft. Dagegen wird ein Portrait des Staats- und Parteichefs Alia ins Bild gerückt, das an jener Stelle steht, wo in den letzten Dezembertagen still und heimlich das Stalin- Denkmal abmontiert worden war. Auf großen Transparenten heißt es: „Lang lebe der Genosse Alia.“