Cleverle Späth segelt in den Skandal

Der baden-württembergische Ministerpräsident gerät durch seine Urlaubsreisen mit westdeutschen Wirtschaftsbossen ins Zwielicht / Auch die Familie durfte auf Kosten der Industrie Ferien machen  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

Baden-Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth gerät durch seine privaten Segeltörns mit westdeutschen Industriellen zunehmend unter Druck: Regelmäßig hat sich der Stuttgarter Regierungschef von befreundeten Unternehmen aushalten lassen. Mehrfach ist er auf deren Kosten verreist. Bereits nach Weihnachten hatte ein Mittelmeer-Segeltörn mit dem ehemaligen SEL-Chef Helmut Lohr Späth in den Verdacht gebracht, er habe sich damit von den Industriekapitänen abhängig gemacht. Nun liefern weitere Meldungen über von Firmen finanzierte Geschäfts- und Urlaubsabenteuer neuen Stoff für bohrende Nachfragen. Der reisefreudige Späth, der für sich ein Recht auf Privatleben reklamiert und alle Vorwürfe mit „Entschiedenheit“ zurückweisen läßt, gerät zusehends in arge Rechtfertigungsnöte.

Den neuen Anschuldigungen zufolge soll Späth mit Kind und Kegel nicht nur 1986, sondern schon zwei Jahre zuvor auf Kosten des Elektronikunternehmens SEL durch die Ägais geschippert sein. Die Stuttgarter Firma habe außerdem eine Reise Späths in die DDR bezahlt, berichtet der 'Spiegel‘. Kosten der Reise, auf der Späth von seinem Adoptivsohn begleitet wurde: 14.000 DM. Die Hälfte der Summe sei von Späth offensichtlich unter dem Einduck der baden-württembergischen Parteispendenaffäre an SEL zurücküberwiesen worden. Späth habe, so der 'Spiegel‘ weiter, von mehreren Unternehmen auch Hubschrauber und Flugzeuge für Wahlkampfzwecke und Privatflüge gestellt bekommen — unter anderem von den Firmen Daimler-Benz, Bosch, SEL, den Blendax-Werken und einigen Mittelständlern. Der baden-württembergische Regierungssprecher Reichl bestätigte inzwischen, daß Späth auf Kosten des Daimler-Konzerns mehrere Dienstreisen unternommen habe, schloß Privatreisen aber ausdrücklich aus.

Späths Reisen mit westdeutschen Industriellen haben Tradition: Mit einer Delegation, darunter der indonesische Honorarkonsul Lohr, war Späth 1986 nach Djakarta geflogen, um dort Türöffner für schwäbische Wirtschaftsexporte zu spielen. SEL konnte danach einen Großauftrag verbuchen. Zwei Jahre zuvor war der jetzige Mercedes-Chef Werner Niefer mit Späth durch kanadische Wälder spaziert; kurz darauf ließ Späth von seinen Katalysator-Plänen für Neuwagen erst einmal ab. Der Ministerpräsident hatte sich auch schon auf der Jacht des verstorbenen Elektrofabrikanten Grundig gesonnt oder beim Blumenerdehändler Aurenz im oberschwäbischen Isny erholt.

Bereits am Freitag war durchgesickert, daß nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft auch Späths Tochter von der Freundschaft ihres Vaters mit SEL-Manager Lohr profitiert hatte: Zweimal verbrachte sie zusammen mit einer Lohr-Tochter Reiterferien auf dem Tiroler „Fohlenhof“; die Hälfte der sich auf 5.200 DM belaufenden Kosten ließ Lohr anschließend als Repräsentationsaufwendungen verbuchen. Der mittlerweile geschaßte SEL-Chef Lohr muß sich seit November vor dem Stuttgarter Landgericht wegen Betrugs, Veruntreuung von 600.000 DM an Firmengeldern und Steuerhinterziehung verantworten.

Mit der Traumjacht „Something Cool“ kreuzten die Familien Lohr und Späth im Mai 1986 durch die Ägais. Die Kosten des exklusiven Sommerurlaubs, immerhin stolze 90.000 Mark, ließ der SEL-Manager von seiner Firma begleichen; diese wiederum setzte die Summe als Betriebsabgaben von der Steuer ab. Die Chartergesellschaft Contactair half mit, die Reise zu vertuschen: Sie stellte fingierte Rechnungen über Inlandsflüge aus. Das Ferienabenteuer landete schließlich in den Akten der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, die bei den Ermittlungen gegen Firmenchef Lohr auf einige pikanten Firmenausgaben gestoßen war — unter anderem für Lohrs Privatvilla auf Mallorca. Doch die Stuttgarter Ankläger, sonst akribisch jeden Klecksbetrag auflistend, hatten die Traumschiff-Reise nicht in das Verfahren gegen Lohr aufgenommen — um dem Ministerpräsidenten und den Justizbehörden Ärger zu ersparen, wird in den Oppositionsfraktionen von SPD und Grünen vermutet. SPD-Fraktionschef Spöri spricht gar von einem neuen „Justizskandal“. Da würden Haftbefehle nicht vollzogen, Verfahren eingestellt, prozeßrelevante Tatbestände beiseite gelassen, Staatsanwälte versetzt oder Verfahren durch Strafbefehle erledigt, so der Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß, der die „Traumschiff-Affäre“ und das Verhalten der Anklagebehörde schonungslos aufklären soll, ist längst beschlossene Sache.

Die Staatsanwaltschaft verteidigt ihre Untätigkeit damit, sie habe die Kreuzfahrt mit Skipper Späth nicht in die Lohr-Anklage aufgenommen, weil dieser Reise eine „gewisse Betriebsbezogenheit“ nicht abzusprechen sei. Folgt man der eigenartigen Argumentation der Ankläger, Lohr habe also „Vorteile und Wohlwollen für die Firma“ erlangen wollen, wäre jeder potentielle Bestechungsversuch steuerlich absetzbar, ohne daß dabei gleichzeitig die Frage nach einer Vorteilsannahme aufgeworfen wird.