DERMUSIK-TIP  ■  ARCHIE SHEPP

In den 60er Jahren war Archie Shepp, Jahrgang 1937, einer der »zornigen« Männer des Free Jazz. Seine Musik galt gar als Prototyp des freien Jazz, jener Musikform, die mit den bisherigen Stil- und Spielarten des Bebop und Hardbop brach, Soundexperimente aus akustischen Instrumenten zelebrierte, durchsetzt mit Afrikanismen und folkloristischen Anleihen.

Shepp selbst bezeichnete seine Musik nicht mehr als Jazz, da ihm dieser Begriff von weißen Musikern und Produzenten zu kommerziell und voller Kompromisse an den allgemeinen Geschmack gebraucht wurde, sondern als »Black Music«. In der Vertonung von Lyrik und Gedichten, vorgetragen von Joe Lee Wilson und Jeanne Lee, bekamen einige seiner Titel auch eine unmittelbar verständliche, für den Hörer nachvollziehbare politische Bedeutung.

Nur, gerade in jenen aufrührerischen mittsechziger Jahren wollten ausgerechnet die Schwarzen so ein intellektuelles Ding nicht hören: Stevie Wonder, Aretha Franklin, Otis Redding und die Supremes waren angesagt. James Brown kam mit dem zweifelhaften »America Is My Home« in die Charts, kurz darauf konnten sich die Schwarzen mit seinem »Say It Loud, I'm Black and I'm Proud« identifizieren. Das änderte sich auch Anfang der 70er nicht, als Marvin Gaye »What's Going On« fragte und Al Green die Charts stürmte: Shepp's »Things Have Got To Change«, »Attica Blues«, »The Cry Of My People« verhallten beinahe ungehört in seiner schwarzen Gemeinde, gefielen nur einigen weißen Revolutionsromantikern. Selbst der für Schwarze und Weiße gleichermaßen bedeutsame »Money Blues« interessierte die doch mehr materiell orientierten Amerikaner kaum.

Die von Shepp apostrophierte Black Music hatte bei seinem europäischen, zwangsläufig weißen Publikum mehr Erfolg. Seit Mitte der 70er Jahre kehrte Shepp zur Tradition des Hardbop, der Verfremdung und Neukonstruktion von Ellington's Balladen und instrumentalen Bluesstimmungen zurück. Nach der »zunehmenden Europäisierung« deutete sich ein »Dilemma« an, meinte ein akademischer Theoretiker in der Zeitschrift »Jazz Podium«: Die gelegentlichen Black- Power-Demonstrationen werden nur noch als exotischer Reiz rezipiert.« Und noch ein Zitat: »Shepp faßt ein Thema als eine eigenständige ästhetische Einheit auf, die als Auslöser der nachfolgenden Improvisationen ihre eigene Autonomie bezweifelt, ohne jedoch die schwebende Mitte zwischen der mystischen Ruhe des Grundmotivs und der improvisatorischen Bewegtheit zu zerstören.«

Aber bitte keine Berührungsangst: Zum Glück spielt der Musikprofessor Shepp schon lange nicht mehr so kompliziert, wie der Mann vom »Jazz Podium« theoretisierte. Shepp's Black Music ist aus der Sackgasse des Free Jazz heraus, vielleicht sogar ein bißchen angepaßt an den Publikumsgeschmack. Deswegen war es wohl im Quasimodo auch immer gut besucht, diesmal kommt Shepp gleich drei Tage.

Mit dabei ist der in Kopenhagen ansässige schwarze Pianist Horace Parlan, dessen rechte Hand von Polio verkrüppelt ist. Diese Behinderung war kein Hinderungsgrund für ihn, aus dem Handicap entwickelte er einen eigenen Stil, spielte mit Charles Mingus, Lou Donaldson, Dexter Gordon, Miriam Makeba und 1977 mit Shepp die Duo-Platte »Goin' Home«. Das Quartett vervollständigen Bassist Wayne Dockery und George Brown am Schlagzeug. Text + Foto: Norbert Hess

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