Tödliche Raserei in die Einheit

■ Brandenburgs Unfallbilanz 1990: 704 Tote, fast doppelt soviele wie ein Jahr zuvor/ Brandenburger Unfallbereitschaft mußte 40.000mal ausrücken/ Fahrerflucht sprunghaft gestiegen

Potsdam. Für drei junge Menschen wurde der schnelle Audi 100 zur Todesfalle. Auf der Autobahn Berlin-Hannover kam der Wagen — besetzt mit einem Gastwirt und seinen Kindern — von der Fahrbahn ab und stieß auf der Gegenspur mit einem Sattelschlepper zusammen. Der Audi wurde auf den Mittelstreifen geschleudert und ging in Flammen auf. Bilanz der Katastrophe hinter der Raststätte Michendorf im Kreis Potsdam: Ein 16jähriges Mädchen und ihre zwei kleinen Geschwister verbrannten, der Vater kam schwer verletzt in ein Krankenhaus.

Beamte der Potsdamer Polizei können ein Lied davon singen, daß viele ihrer Mitbürger mit den leistungsstärkeren West-Pkws überfordert sind. Die Autobahnen in Brandenburg sind längst nicht für westliches Tempo und die höhere Verkehrsdichte geeignet. »Mit Leitplanken entlang den Fahrbahnen wäre der Unfall nicht passiert«, meint Polizeioberkommissar Uwe Weishäutel, Leiter der Verkehrsunfallbereitschaft Potsdam.

Weishäutel und seine Kollegen von den Brandenburger Unfallbereitschaften mußten fast vierzigtausendmal ausrücken, knapp doppelt so oft wie 1989. Die Zahl der Verletzten überstieg erstmals die 10.000er-Grenze. Das Erschreckendste: 704 Tote — fast doppelt soviele wie ein Jahr zuvor. Es gab Wochenenden mit 16 bis 17 Todesopfern, erinnert sich ein Polizeibeamter. Rund jeder vierte Unfall sei auf zu schnelles Fahren zurückzuführen [aha. die leitplanken sind also nicht das problem. sezza].

Weishäutel, der mit 23 Kollegen für die Stadt und den Kreis Potsdam mit rund 240.000 Einwohnern zuständig ist, hat weitere Gründe für den Unfallboom ausgemacht. So seien viele Ex-DDR-Bürger dem »Umbruchsstreß« nicht gewachsen. Aggressivität, mangelnde Konzentration und Unbeherrschtheit seien die Folgen. Viele Menschen meinten offenbar, daß es im »wilden Osten« keine Gesetze mehr gebe. »Was wollt ihr denn noch? Wir sind jetzt in der Bundesrepublik, die alten Gesetze gelten nicht mehr«, das haben die Männer, die letztes Jahr noch in den alten Ostuniformen steckten, häufig zu hören bekommen. Sprunghaft angestiegen sei auch die Fahrerflucht, berichtet Weishäutel. Sorgen bereite auch der Zustand der Landstraßen: Schlaglöcher, glitschige Kopfsteinpflaster und große Pfützen, die sich bei Frost schnell zu rutschigen Eisflächen verwandelten. Ausgesprochen unfallgefährdet seien Insassen von Trabant-Autos, denn diese entzündeten sich leicht bei Kollisionen. »Wenn sie nur ein Streichholz auf den Fahrersitz legen, ist der Trabi binnen einer halben Stunde ausgebrannt«, glaubt Weishäutel.

Mit Hilfe Nordrhein-Westfalens soll künftig moderne Radartechnik gegen die Raser eingesetzt werden. Christian Böhmer/dpa