»Die Leute sind an Ausländer gewöhnt«

■ Die VietnamesInnen sind aus Fürstenwalde verschwunden, jetzt sind neue Fremde gekommen: Flüchtlinge aus dem Irak, Libanon, der Türkei und Polen/ Wanda Nikulka, Ausländerbeauftragte des Kreises, steht vor einem Berg von Problemen

Fürstenwalde. Wanda Nikulka, frischgebackene Ausländerbeauftragte im Kreis Fürstenwalde, hatte bereits einen anstrengenden Tag hinter sich und war wenig begeistert, als sich die Flüchtlinge aus dem Iran, Libanon und Polen, einen Stapel Behördenformulare in den Händen, vor ihr aufbauten: Asylanträge, Paßeinzugsbescheinigungen, Anwaltskopien, Meldefristen des Landeseinwohneramtes. Das Sprachengewirr aus Polnisch, Deutsch, Farsi und Arabisch wird zum undefinierbaren Summen, eine Stimme, die in fließendem Englisch spricht, kristallisiert sich schließlich heraus. Er bitte um einen Deutschkurs, sagt Jawad M., ausgebildeter Physiker aus dem Iran, sein Landsmann, während seiner Haftzeit in Teheran schwer gefoltert, müsse dringend seine ärztliche Behandlung in Berlin fortsetzen — und die arabischen Flüchtlinge hätten im übrigen einen Hungerstreik angekündigt, falls ihnen nicht endlich jemand sage, wie es mit ihren Asylanträgen weitergehe.

»Uns hat man im Stich gelassen«

Wanda Nikulka würde, wenn sie könnte, auch dem Ministerpräsidenten höchstselbst in den Ohren liegen, um für Jawad M. einen Deutschkurs und für Rosbin S. eine Fahrt zum Arzt nach Berlin zu ermöglichen. Nur müßte sie dafür nach Potsdam telefonieren, »und seit ich hier arbeite, habe ich noch kein einziges Mal eine Direktverbindung gekriegt«. Im übrigen hat sie weder Geld für einen Deutschkurs, noch kann sie irgend jemandem sagen, wie es mit seinem Asylverfahren weitergeht. »Uns hat doch hier niemand geschult. Man hat uns die Leute einfach hergeschickt und uns dann im Stich gelassen.«

Überhaupt hat den Fürstenwaldern vorher niemand etwas von der Ankunft der Flüchtlinge erzählt — wie ihnen auch vor ein paar Jahren niemand etwas von den vietnamesischen Kollegen erzählt hatte, die plötzlich in mehreren Brigaden im örtlichen Reifenwerk Pneumant auftauchten, um bei der Erfüllung des Plansolls zu helfen und die Völkerfreundschaft zu pflegen. Weil es damals in Fürstenwalde keine Unterkünfte für die Vertragsarbeiter gab, wurden im Schnellverfahren ein paar Quader hochgezogen. Außen Plattenbaufassaden, innen Kasernenstil: endlose Gänge mit Vierbettzimmern und Gemeinschaftstoiletten. Der Völkerfreundschaft war dieser Neubau nicht sehr dienlich — schon gar nicht in einem Land, in dem Wohnungen knapp und in schlechtem Zustand sind. »Ein moderner Neubaukomplex inmitten grüner Wiesen und Wälder«, schwärmte unlängst ein Reporter der 'Welt am Sonntag‘ und vergaß nicht zu erwähnen, daß die deutsche Bevölkerung »in verfallenen Häusern hinter dunklen Fassaden lebt«.

Heute, drei Monate nach der Vereinigung, sind in Fürstenwalde über 4.000 Menschen arbeitslos. Die Reifen von Pneumant will keiner mehr haben, die Vietnamesen auch nicht. Die meisten sind nach Hause zurückgekehrt, offiziell freiwillig. Ein paar leben noch in Haus 2, gleich am Eingangstor. Sie sind arbeitslos, aber sie warten das Ende der Laufzeit ihrer Arbeitsverträge ab. Dann müssen sie die Unterkünfte räumen.

Vor ein paar Monaten, am 26. Oktober, kamen plötzlich Flüchtlinge aus dem Libanon, Afghanistan, der Türkei oder dem Iran an. In der Kaufhalle und in der Kneipe wurde gemurrt über die neuen Fremden, bei Wanda Nikulka gingen Drohanrufe ein. Aber der Protest hielt sich im Vergleich zu anderen Orten in Brandenburg in Grenzen, wo die Ankündigung einer Flüchtlingsunterkunft ungeahnte Widerstandskräfte mobilisierte. »In Fürstenwalde sind die Leute an Ausländer gewöhnt«, sagt Wanda Nikulka. Was nicht heißt, daß sie sie mögen. Aber die Fürstenwalder haben festgestellt, daß sie selbst nicht in eines der Vierbettzimmer »inmitten grüner Wiesen und Wälder« einziehen würden.

Plansoll bei der Aufnahme

20 Prozent aller Asylantragsteller müssen mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages in den neuen Bundesländern aufgenommen werden. 3,56 Prozent in Brandenburg — so haben es die Reißbrettstrategen aus den Innenministerien beschlossen. Das Verfahren hat planwirtschaftlichen Charakter, und es funktioniert entsprechend schlecht — zumindest für die Betroffenen.

Als Wanda Nikulka erfuhr, daß Asylsuchende in Fürstenwalde untergebracht werden sollten, fuhr sie auf eigene Faust nach Berlin und besorgte sich Informationen über das Asylverfahren und die Unterbringung von Flüchtlingen. Weder sie noch die MitarbeiterInnen im Heim sind im Besitz einer Kopie des Asylverfahrensgesetzes. Amnesty international ist eingesprungen und hat einen Stapel Informationsmaterial geschickt. Es stehen weder SozialarbeiterInnen noch DolmetscherInnen zur Verfügung. Die vier BetreuerInnen im Heim kommen »aus dem Kulturbereich«; ÜbersetzerInnen für Türkisch, Arabisch oder Persisch muß die Ausländerbeauftragte einmal pro Woche aus Berlin anfordern.

Seit der Wende ist in Fürstenwalde nicht nur das Reifenmonopol von Pneumant, sondern auch das Monopol über die Jugend verlorengegangen. Unter dem Dach verschiedener Jugendklubs haben sich rivalisierende Cliquen eingerichtet. »Die rechte Szene bekämpft die linke Szene«, sagt ein Betreuer aus dem Heim, »und da kann es schon passieren, daß die Ausländer auch was abkriegen«. Drei Tage vor Weihnachten ist es dann passiert.

»Kakerlaken« und »scheiß Ausländer«

Ein Dutzend Jugendliche trafen Mohamud D. und drei andere Somalis in der Wartehalle des Fürstenwalder Bahnhofs an und beschimpften sie als »Kakerlaken« und »scheiß Ausländer«. Alles in allem weiter nichts Besonderes, so Mohamud D., wären ein paar der Jugendlichen nicht mit Baseballschlägern und einem Revolver zurückgekommen. Die Scheibe in der Wartehalle des Bahnhofs ging zu Bruch, Mohamud sah plötzlich den Lauf des Revolvers vor seinem Gesicht.

Die diensthabende Reichbahnerin alarmierte die Polizei — und als diese nicht erschien, stellte sie sich resolut dazwischen. Der Jugendliche beließ es bei einigen Beschimpfungen gegen die Frau. Eine richtige Deutsche schütze solchen Dreck nicht. Die Familie D., darunter ein sechs Wochen alter Säugling, will auf keinen Fall mehr auch nur in die Nähe von Fürstenwalde kommen. Ausgestattet mit einem Schreiben eines Heimmitarbeiters, wonach es gegenwärtig »unverantwortlich« sei, »uns Familien mit Säuglingen und Kleinstkindern zu überweisen«, sind sie nach Berlin gefahren und warten dort in einem Spandauer Aufnahmeheim auf ein Wunder oder einen Wink der Behörden. Die, in Gestalt der Zentralen Sozialhilfestelle für Asylbewerber, weigert sich bislang hartnäckig, der Familie Sozialleistungen zu gewähren. Familie D. sei schließlich nach Brandenburg verteilt worden.

Unterdessen sind im Fürstenwalder Wohnheim die Maler angerückt, streichen die Wände neu und lackieren die Fensterrahmen. Sie habe schon schlimmere Heime gesehen, sagt Wanda Nikulka zu Jawad M., im Westen wie im Osten. »Schließlich verschaffen wir Ihnen ein ordentliches Bett über dem Kopf und etwas zu essen.« Andrea Böhm