Was wirklich schmerzt-betr.: "Beredtes 'friedliches' Schweigen", taz vom 2.1.91

betr.: „Beredtes ,friedliches‘ Schweigen“, Essay von Henryk M.Broder, taz vom 2.1.91

Dein Essay, man möcht' es unterschreiben. Das würde nicht genügen. Als Nicht-Jüdin über Israel zu reden, ist noch nie gut gegangen. Als Ausländerin in Deutschland lebend über Israel zu reden, ging noch weniger gut. Genau betrachtet, ging jede Stellungnahme irgendwie daneben. Den Bürgermeister von Bremen bat ich seinerzeit, sein „liebe jüdische Mitbürger“ zu unterlassen. Er schrieb zurück: Herr Galinski findet es aber gut. Dort, wo ich Abgrenzung sah, fanden es andere in Ordnung.

Was wirklich schmerzlich ist, ist die Tatsache, daß aus den Opfern —nicht von gestern, lieber Henryk, Opfersein erledigt sich nicht in einer Generation — Opfertäter geworden sind. Also Menschen wie Du und ich. Solche Kreaturen gibt es auch in Deutschland, wenn auch rar. Nur, wie reden? Dieses Schweigen, das Du öffentlich zu Recht angreifst, ist auch ein Schweigen des Entsetzens. Es könnte so leicht, selbstverständlich, gerecht und befreiend sein, für Israel eintreten zu können. Aber das Palästinenser-Problem soll nicht zu einem Schönheitsfehler verkommen, und deshalb fehlt die Leichtigkeit und die Selbstverständlichkeit und die Befreiung. Nur die Gerechtigkeit bleibt, und mir reicht sie als Verpflichtung. Weißt Du, was man sonst für Israel tun könnte? Antonia Loukákou, Bremen

Henryk Broder denunziert, diffamiert und unterschlägt Wahrheiten. So schreibt er zum Beispiel, daß alle großen Moralisten schweigen, so auch Horst Eberhard Richter. Einspruch. Horst Eberhard Richter hat auf der Dezemberdemo in Bonn nicht zur Golfkrise und zum Komplex Isarel geschwiegen.

Henryk M.Broder schreibt: „Und wenn ein paar deutsche ,Geiseln‘ aus dem Irak heimgeflogen werden, fragt auch keiner, was sie dort eigentlich getan haben. Einspruch. Auf allen Flugblättern der Friedensbewegung sind die Rüstungskonzerne und ihre Handlanger attackiert worden.

Henryk M.Broder schreibt: „eine zweite Endlösung der Judenfrage wird nicht unbedingt gewünscht, aber billigend in Kauf genommen. Die Endlösung wird von Saddam Hussein angedroht, der „seit Jahren verspricht, ...er werde Israel von der Landkarte ausradieren“. Dies ist unbestritten so, weshalb in der Friedensbewegung Entsetzen darüber herrscht, daß bei einem möglichen Kriegsausbruch mit deutschem Giftgas Tel Aviv bombardiert werden könnte. Deshalb besteht für die Friedensbewegung auch eine besondere Verpflichtung, einen Kriegsausbruch am Golf zu verhindern, und zwar mit nichtkriegerischen Mitteln! Denn es wird dann nur Verlierer und Hingemordete geben: auf allen Seiten!

Ich denke, auch Henryk M.Broder möchte einen Kriegsausbruch vermieden sehen, wobei er zu Recht attackiert, daß „die deutsche Öffentlichkeit in aller Gelassenheit zur Tagesordnung übergeht“, gleichwohl „die zweite Endlösung der Judenfrage“ von Saddam Hussein angekündigt wird. Aber warum er ausgerechnet alle diejenigen wüst verunglimpft, die sich, in seinen Augen wie naiv auch immer, um eine nichtmilitärische Konfliktlösung am Golf bemühen, ist nur schwer erklärlich. [...] Richard Pestemer, Neunkirchen

[...] Broders Betrachtungen über die Golfkrise sind auf verschiedene Weise ärgerlich. Am Golf sind die Amerikaner dabei, einen Krieg vom Zaun zu brechen, der wegen des dabei entfesselten Zerstörungspotentials hunderttausenden von Menschen den Tod bringen oder sie ernsthaft verletzten wird. Hochentwickelte computergestützte Waffensysteme werden flächendeckend Menschen dahinraffen, in der Mehrzahl Zivilisten. Und dazu gibt es keinen zwingenden Grund. Die USA warten nicht einmal ernsthaft die Wirkung der berechtigten Sanktionen ab, der Irak will verhandeln, jedenfalls nicht angreifen. Wenn auch jedes Mittel recht ist, Saddam in die Schranken zu verweisen, ein solcher Krieg wäre es nicht. Er wäre ein Verbrechen.

Herrn Broder aber ficht das alles nicht sonderlich an. Ihm geht es vornehmlich darum, daß Israel in Mitleidenschaft gezogen wird und um die „Sünden“ der linken pazifistischen Kritiker und Mahner. Dabei entwickelt er einen solch elitären moralischen Anspruch, daß sich beklemmende Gefühle einstellen beim Leser. Das ganze Geschehen wird ausschließlich am Maßstab der Gefahr für Israel dabei gemessen. Das Eintreten von Gruppen und Persönlichkeiten für eine friedliche Lösung wird nur nach ihrem Engagement für Israel beurteilt und fällt dementsprechend abwertend, ja übel aus. [...]

Broder steigert sich manchmal in eine Art Amoklauf, um die Positionen der evangelischen Kirche, von D.Sölle, der internationalen Ärztegruppe und so weiter herunterzumachen. [...] Ist es wirklich von so entscheidender Bedeutung, daß Dorothee Sölle „Keiner soll für Texaco sterben“ fordert, statt „Keiner soll für Texaco und Siemens sterben“? Müßte man nicht die Wirtschaftunternehmungen und die sie unterstützenden Regierungen massiv angreifen, anstatt sich über die — mögliche — Blickverengung einzelner engagierter Personen, die ja für eine richtige Sache eintreten, zu ereifern? Henryk Broder zeigt in seiner galligen Schreibe viel mehr von dieser Blickverengung als es die Objekte seiner Kritik tun. Und zu seiner Information muß ja auch noch gesagt werden, daß die deutschen Konzerne und die deutsche Politik ja schon längst kritisiert werden. Allerdings viel zu lau, wie mir scheint.

Nach seiner schurkischsten Tat, dem Giftgasangriff auf die Kurden, haben die allermeisten westlichen Firmen wie Regierungen Saddam Hussein noch fast zwei Jahre lang kräftig unterstützt. Das ist der eigentliche Skandal! Das weist auf die moralische Verlogenheit hin, mit der jetzt versucht wird, den Angriffskrieg gegen den Irak zu rechtfertigen. Daß hier versucht wird, reiner Machtpolitik ein moralisches Mäntelchen umzuhängen, hat D.Sölle besser dargestellt, als H.Broder es möglicherweise begriffen hat. Den internationalen Ärzten vorzuwerfen, daß sie im Rahmen ihrer Untersuchungen zwar nach Kairo, nicht aber nach Tel Aviv gegangen seien, liest sich vor diesem Hintergrund schon sehr kleinkarriert. Sie haben doch etwas Zutreffendes festgestellt!

Aber Broder geht es wohl auch mehr um eine bissige Abrechnung mit den Leitbildern linker Kritik. Und hin und wieder hat man auch den Eindruck, er fordere auch in diesem Konflikt wieder die besondere Schuldbewußtheit der Deutschen ein, weil ja schließlich Israel betroffen sein könnte. Wem nützt so etwas eigentlich noch? Axel Boldt, Bremen