Nur ein vordergründiger Erfolg

■ Auch nach einer Räumung der Hafenstraße bleiben die sozialen Probleme Hamburgs

Das gestern ergangene Hafenstraßen-Urteil des Hamburger Landgerichtes ist für den SPD/FDP-Senat das willkommene Startsignal, in den nächsten Wochen — und damit geschickt plaziert vor die Bürgerschaftswahlen am 2. Juni — am Hafenrand in St. Pauli Tabula rasa zu veranstalten. In den Schubladen Hamburger Amtsstuben liegen schon seit langem konkrete Pläne für Räumung und auch Abriß der umstrittenen Häuser. Aber: Ist dieser vor Gericht erstrittene Sieg ein politischer Erfolg für den Sozialdemokraten Henning Voscherau und seinen liberalen Regierungspartner Ingo von Münch? Nur auf den ersten Blick. Es könnte gelingen, die im Aufwind befindliche CDU rechtzeitig vor der Wahl mit einer beinharten Law- and-order-Politik unten zu halten. Denn unter anderem mit dieser — dem SPD-Stadtoberhaupt unterstellten — Hoffnung kann man Voscheraus Räumungsgelüste erklären. Eine trügerische Hoffnung — siehe Mainzer Straße.

Die aktuellen sozialliberalen Muskelspiele könnten in Hamburg durchaus auch als verspätete Reaktion auf eine gescheiterte selbstgemachte Politik des Pseudodialogs mit den HausbesetzerInnen verstanden werden. Als Eingeständnis permanenter politischer Fehlleistungen. Der Dialog zwischen den Regierenden und den BesetzerInnen ist gescheitert, weil er im Grunde nicht gewünscht war. Spätestens seit der weltmännisch-tolerante Klaus von Dohnanyi vom vekniffenen Juristen Voscherau abgelöst worden war. Der Dialog reduzierte sich ausschließlich auf ein Wechselspiel von echter und angeblicher Randale, von nie exakt nachgewiesenen kriminellen und terroristischen Aktivitäten aus den Häusern am Hafenrand und oft unangemessenen Polizeieinsätzen. Und schließlich auf die darauf folgenden, halbherzigen Versuche der Schadensbegrenzung und Eskalationsverhinderung.

Voscheraus Rechnung mit der Attitüde vom starken Mann, mit seiner millimetergenauen von der FDP unterstützten Annäherung an innenpolitische CDU-Forderungen geht bestenfalls wahltaktisch gesehen auf. Denn: Mit einer Räumung der Hafenstraßen-Häuser verschwinden die aus ihren Wohnungen Vertriebenen schließlich nicht aus Hamburg. Sie werden nur die Gruppe der obdach- und perspektivlosen Menschen — die immer gewaltbereiter sind — in Hamburg vergrößern. Vor dem Dialog mit ihnen mit dem Ziel konkreter wohnungs- und arbeitspolitischer Ergebnisse kann sich Henning Voscherau nicht länger drücken. Sonst ist ihm die CDU immer einen Law-and-order-Ruf voraus. Jürgen Oetting