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Der Voodoo-Fluch der Diktatur

■ Zum Militärputsch auf Haiti KOMMENTARE

Eine demokratisch legitimierte Mehrheit, die nur die Moral, aber nicht die Macht auf ihrer Seite hat, ist keine. Im Gegenteil: Die Geschichte lehrt, daß eine gut bewaffnete und organisierte Minderheit die Mehrheit eines Volkes auf unabsehbare Zeit drangsalieren und terrorisieren kann. Das ist auf Haiti der Fall, wo die korrupte Machtelite des vor fünf Jahren gestürzten Diktators Jean-Claude Duvalier noch immer über genügend Waffen und Geld verfügt, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu halten. Die Tontons Macoutes morden weiter: Eines ihrer letzten Opfer war der Richter Serge Villard, der die Gefolgsleute des Duvalier-Regimes von den Präsidentschaftswahlen ausschloß.

Den Sohn des ermordeten Richters hat der linke Befreiungstheologe Jean-Bertrand Aristide nach seinem Erdrutsch-Sieg bei den Wahlen am 16. Dezember demonstrativ in sein Kabinett aufgenommen — ein deutliches Signal an die Adresse der Duvalier-Mafia, daß es ihr an den Kragen gehen soll.

Jetzt haben die Tontons Macoutes brutal zurückgeschlagen — und damit eine doppelte Dummheit begangen: Anstatt Aristides Amtsantritt abzuwarten, haben sie die noch amtierende Präsidentin Ertha Pascal Trouillot als Geisel genommen und den wegen Menschenrechtsverletzungen und finanzieller Unterschlagungen verurteilten Ex- Innenminister Roger Lafontant zum Präsidenten von Haiti proklamiert. Durch diesen Doppelfehler haben die putschenden Militärs nicht nur das State Department in Washington gegen sich aufgebracht, daß aus seinem Unbehagen über den Wahlsieg des Marxistenfreunds Aristide keinen Hehl machte, sondern auch die haitianische Armee gespalten. Deren Oberbefehlshaber, General Abrahams, hat sich gegen die Putschisten ausgesprochen. Aber aus der öffentlichen Meinung des In- und Auslands haben sich die Duvalieristen nie viel gemacht: Haiti hat eh schon eine schlechte Presse — auf einen Mord oder Militärputsch mehr oder weniger kommt es nicht an.

Angesichts des unerklärten Bürgerkriegs, der seit fünf Jahren auf der Karibikinsel tobt, liegt es nahe, die Entsendung von Friedenstruppen der UNO oder der OAS zu verlangen, damit die Tontons Macoutes endlich entwaffnet werden. Selbst der Ruf nach einem militärischen Eingreifen der USA ist zu hören — auf Haiti wäre das Risiko kleiner als am Golf. Wer so argumentiert, hat die politischen Folgen nicht bedacht: gegen eine ausländische Intervention würden sich die Bürgerkriegsparteien zu einer gemeinsamen Front zusammenschließen, und die Tontons Macoutes bekämen die Chance, sich als Verteidiger des Vaterlandes zu profilieren.

Es gibt kein Patentrezept für Haiti, und jede von außen aufgezwungene Lösung wäre kontraproduktiv. Das Volk muß sich aus eigener Kraft vom Fluch der Voodoo-Diktatur befreien. Die beste Hilfe für Haiti ist Hilfe zur Selbsthilfe, d.h. entschiedene materielle und moralische Unterstützung für den demokratisch gewählten Präsidenten Jean- Bertrand Aristide. Hans Christoph Buch

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