„Diesmal werden wir uns wehren“

Bologna, einst Europas Vorreiterin für sozialen Frieden und Stadtsanierung, wird immer mehr zum Schauplatz blanker Gewalt/ Nach Morden an Roma und Carabinieri Bekennerbriefe von einer Gruppe namens „Legionäre der eisernen Garde“  ■ Aus Bologna Werner Raith

Das Wetter könnte, für hiesige Verhältnisse des „normalen“ Sonnenscheins, kaum symbolträchtiger sein: Nebel wabert um die Obergeschosse der Wohnblocks, Eiskristalle rieseln auf die fünf- bis sechstausend Menschen herunter; mehr als zwei Stunden wartet man mit dem Beginn des Protestmarsches, weil Dutzende von Omnibussen aus ganz Italien wegen des schlechten Wetters und des regen Ferienendverkehrs noch ausstehen.

An der Straßendecke der Via Casini Hunderte von Blumenbuketts, Transparente: „Wer immer hier die Drähte gezogen hat, wir werden darauf antworten“, oder „Sie kommen wieder über uns, aber diesmal werden wir uns wehren“. Es ist die Stelle, wo in der Nacht zum Samstag drei Carabinieri in einen Hinterhalt gelockt und erschossen wurden.

Der Vorort „Pilastro“ ist eine der hastig hochgezogenen Schlafstädte der Halbmillionenstadt Bologna, die im Stadtkern zwar mustergültig saniert wurde, aber gerade deshalb nach außen hin explodierte; heute sind hier neben den Pendlern auch noch einige tausend afrikanische und asiatische Wanderarbeiter sowie Sinti und Roma konzentriert: Die immer wieder versprochenen Infrastrukturen gibt es bis heute nicht. Die Häuserblocks stehen ohne Grün auf dem Lehmboden, die öffentlichen Gebäude verfallen, in den Hinterhöfen hausen Ratten.

Die gut zwanzig Veranstaltergruppen, von den Kommunisten bis zur Katholischen Jugend, hatten die Manifestation bereits für diesen Sonntag geplant, bevor es in der Nacht zum Samstag zum diesem bislang schwersten Attentat der letzten zehn Jahre kam: Die drei Polizisten waren auf Patrouille just in dieser Gegend gewesen, weil kurz vor Weihnachten hier in dem Nichtseßhaftencamp zwei Roma mit Maschinengewehrsalven umgebracht worden waren; einige Monate zuvor hatten Molotow-Cocktails böse Verheerungen angerichtet. Aber auch „gewöhnliche“ und organisierte Kriminalität macht sich bemerkbar: Ende Dezember waren zwei Männer nur deshalb erschossen worden, weil sie von weitem zufällig einen Raub beobachtet hatten.

Ausgerechnet Bologna: jene Stadt, die noch heute vom Nimbus einer sozial besonders verträglichen Stadt lebt, wo die Sanierung einst jene so zukunftsträchtig erscheinende Mischkultur aus Arbeitsstädten und Wohnungen garantiert hatte. „Du brauchst das gar nicht in Vergangenheitsform setzen“, blafft mich Rossana De Santis vom „Comitato per una Bologna pulita“ an, die mir beim Schreiben auf den Stufen der „Scuola degli extracomunitari“ zuschaut, „große Teile von Bologna sind noch heute so. Und genau deswegen passiert das da.“ Sie zeigt auf drei Blumensträuße und ein vom Regen bereits verblichenes Schild, wo vor zwei Wochen die Maschinengewehrsalven die beiden Roma getötet hatten. „Sie wollen nicht, daß es Orte gibt, wo man mit ehrlicher Arbeit Geld verdient und in Frieden lebt.“

„Sie“ waren es also: nicht Bologneser, sondern anonyme „sie“. Es ist derzeit die einzige Deutung, die die Bürger hier akzeptieren: „Es kann, es darf nicht sein, daß Gewalt von dieser Stadt selbst ausgeht“, erklärt Regionalpräsident Guerzoni. Düster spielt Bürgermeister Renzo Imbeni, Leiter einer der hier traditionell herrschenden Linkskoalitionen, auf grauenvolle Tage der Vergangenheit an: „Wir wissen, daß sie immer dann Bologna wählen, wenn sie eine besonders gesunde Stadt treffen wollen.“ Das rechtsterroristische Attentat auf den Bahnhof von 1980, bei dem 85 Menschen starben, ist noch immer ungesühnt. „Auch damals ging es darum, diese Stadt zu treffen, weil sie sich dem Bösen widersetzt hat“, ruft auch Kardinal Biffi seinen Gläubigen zu — ungewohntes, nur zu solchen Notstandszeiten hörbares Lob von der Kirche für die roten Stadtsanierer. Der Schock über die Bandbreite der nun sichtbaren Gewalt und die dahinter sichtbaren Motive (vom blanken Rassismus bis zum Shoot-out rivalisierender Banden und zur Beseitigung von Tatzeugen) ist zu groß, um andere Deutungen als die eines reinen Imports zuzulassen. Daß für das Attentat auf die Carabinieri und die Roma eine Gruppe namens „Legionäre der eisernen Garde“ die Verantwortung reklamiert, nehmen die Bologneser fast mit Erleichterung zur Kenntnis: Auch in Rom und Florenz haben solche Terrorkommandos bereits Anschläge auf ihr Konto gebucht, und das Siegel „Eiserne Garde“ gilt überdies seit den 70er Jahren als eine der Gruppen, die sich auf den philonazistischen rumänischen Autor Codreanu beziehen.

Hinter den Gewalttätern werden große Auftraggeber vermutet — bis hin zu Geheimdiensten, die vom Skandal um die Nato-Geheimtruppe „Gladio“ ablenken wollen. Das ist zwar keineswegs auszuschließen, und dennoch: „Daß Bologna längst nicht mehr die heile Stadt von einst ist, konnte jeder schon seit Jahren erkennen“, sagt Anna Donati, grüne Abgeordnete und eine der wenigen PolitikerInnen, die nicht der „Import“-Theorie anhängt: „Gewalt gegen afrikanische Händler oder durchziehende Sinti ist hier seit Mitte der 80er Jahre genauso an der Tagesordnung wie in allen größeren norditalienischen Städten.“ Der Drogenhandel hat sich auch hier festgesetzt, mit allen seinen Folgen wie Beschaffungs- und Bandenkriminalität: Die vielen intakten Jugendzentren und die niedrige Arbeitslosigkeit wirkten nicht als die erhoffte Barriere.

So tappen die Bologneser genauso wie andere von der Gewalt geprägte Städte völlig im Dunkeln, was man nun tun soll. Die Demo zeigte es denn auch: Statt sich am Ende zusammenzusetzen und das Hausgemachte vom wirklich Importierten zu trennen, statt Pläne für eine „Sanierung unserer eigenen Mentalität“ (Donati) auszuarbeiten, gerieten die Veranstalter in Streit, wer wann wie viele Sitze in einem eventuellen Anti-Gewalt-Komitee beanspruchen könne.