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Die Kriminalität führt zu Irritationen zwischen der südafrikanischen Regierung und dem ANC

Raubüberfälle und Morde sind in Südafrika an der Tagesordnung/ Dabei sind die politisch motivierten und kriminellen Morde nicht immer zu unterscheiden/ Schon sprechen manche weiße Liberale von der Gefahr eines heraufziehenden Militärputsches  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Die „Vereinigte Front gegen das Verbrechen“ kündigte am Freitag die Schlagzeile der Johannesburger Tageszeitung 'The Citizen‘ an. Das regierungsnahe Blatt zitierte einen Aufruf des Ministers für Recht und Ordnung, Adriaan Vlok, der alle Bürger und Organisationen zur Bekämpfung der wachsenden Welle gewalttätiger Verbrechen aufrief. Vlok lud politische Organisationen wie den Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) und seine Rivalen, den radikaleren Panafrikanistischen Kongreß (PAC) und die konservative Zulu-Organisation Inkatha zur Beteiligung an dieser Front auf.

Südafrikanische Tageszeitungen hatten in der Weihnachtszeit täglich über oft grausame brutale Verbrechen berichtet.

Da wurde ein Seniorenehepaar in seinem Haus am Stadtrand von Pretoria brutal ermordet. Ein weißer Geschäftsmann, der an einer Ampel in Soweto gehalten hatte, wurde von einer Bande erschossen, die sein Auto stehlen wollte. Eine Gruppe von weißen Jugendlichen zündete kurz vor Weihnachten auf einem Bahnhof einen Farbigen an. Eine andere Gruppe von Jugendlichen in Soweto brach in ein Waisenheim ein und entführte mehr als ein Dutzend junge Mädchen. In ihrem Hauptquartier — einem System unterirdischer Abwasserkanäle — vergewaltigten sie die Mädchen systematisch. Ein Kanalabschnitt wurde mit kruder Pinselschrift zum „Vergewaltigungsraum“ deklariert.

Bei Truthahn und Christmaspudding, oder in der Sommerhitze oft auch bei Grillfleisch und Dosenbier am Swimming Pool, drehten sich die Gespräche der Weißen um Gewalt und Verbrechen.

In Dutzenden von Häusern wurde trotz Alarmanlage, bissigem Hund und vergitterten Fenstern und Türen eingebrochen. Reihenweise wurden Autos gestohlen. „Wir überlegen, ob wir nicht doch auswandern sollen“, sagte eine junge weiße Mutter besorgt. „Meine Töchter sind nicht mehr sicher. Mit den politischen Veränderungen in Südafrika kann das alles nur noch schlimmer werden.“ Mit der „Operation Sentry“ (Operation Wachtposten), die Minister Vlok kurz nach Neujahr ankündigte, soll die Angst der Weißen beruhigt werden. Bis Mitte des Jahres sollen 10.000 zusätzliche Polizisten in den Straßen patroullieren.

Der Fluß der Waffen

Die Operation Sentry ist vor allem gegen bewaffnete Raubüberfälle und Morde gerichtet. Sondereinheiten sollen illegale Schußwaffen aufspüren.

Dabei hat die Polizei es vor allem auf automatische Kampfgewehre vom Typ Kalaschnikow abgesehen. „Ich bin überzeugt, daß die Entfernung solcher Waffen aus der Gesellschaft zu einer erheblichen Reduzierung gewalttätiger Verbrechen führen würde“, sagte Vlok. Solche Waffen sind der Polizei zufolge in den letzten Monaten immer öfter bei Raubüberfällen benutzt worden. Und Polizeisprecher machen den ANC für die zunehmende Zahl von Kalaschnikows verantwortlich.

Mitglieder der ANC-Armee „Umkhonto we Sizwe“ (Speer der Nation), so ein Sprecher der Organisation, seien diszipliniert. Statt dessen beschuldigt der ANC die südafrikanischen Sicherheitskräfte selbst, Waffen wie die Kalaschnikow zu verteilen. Tatsächlich schießen die Kontrahenten in den Bürgerkriegen in den Nachbarländern Angola und Mosambik meist mit Kalaschnikows aus südafrikanischen Beständen aufeinander. Südafrika hat in beiden Ländern regierungsfeindliche Rebellen militärisch unterstützt. Und es gibt gut organisierte, von politischen Organisationen vollkommen unabhängige Schmugglerkanäle, um Waffen aus diesen Ländern in die südafrikanische Gangsterszene zu schleusen. Auch Schlägertrupps in den schwarzen Wohngebieten sollen mit Kalaschnikows der Regierung ausgerüstet sein. Das habe dazu beigetragen, daß 1990 das schlimmste Gewaltjahr dieses Jahrhunderts in Südafrika war.

Im Durchschnitt wurden täglich zehn Menschen in politischen Kämpfen umgebracht. Fast 13.000 Menschen wurden 1990 ermordet. Hohe Kriminalität in einem Land, in dem die Arbeitslosigkeit bei etwa 40 Prozent steht — genaue Statistiken gibt es nicht —, ist nicht sonderlich überraschend. Aber die Trennungslinie zwischen politischen und rein kriminellen Verbrechen ist in Südafrika verwischt. Viele Diebe, meist schwarzer Hautfarbe, sprechen wie selbstverständlich von „Umverteilung“ oder „Nationalisierung“, wenn sie von Weißen stehlen. Jugendliche Räuberbanden nennen sich „Comrades“, wie die jungen politischen Aktivisten, um unter diesem Deckmantel Leute zu erpressen oder zu überfallen. Aber Erpressung, beispielsweise um Geld für die Beerdigung eines politischen Aktivisten zu sammeln, gehört auch zum Repertoire der echten „Comrades“.

Der Konflikt zwischen ANC und Regierung um die Ursachen der Gewaltwelle der letzten Monate macht deutlich, daß die beiden wichtigsten Verhandlungspartner des vergangenen Jahres einander nach wie vor als Feinde betrachten. Beide wollen Verbrechen bekämpfen. Aber die Regierung versucht, wo irgend möglich, ihre Macht, ihre Kontrolle des Staates auszunutzen, um die Position des ANC zu schwächen.

Differenzen zwischen ANC und Regierung werden sich im kommenden Jahr vor allem im Sicherheitsbereich verschärfen. Die Rückkehr der zwischen 20.000 und 40.000 exilierten ANC-Mitglieder verzögert sich beispielsweise noch immer, weil südafrikanische Sicherheitsleute befürchten, dass trainierte ANC-Kämpfer ins Land kommen könnten. Präsident Frederik de Klerk ist im vergangenen Jahr eher behutsam mit Militär und Polizei umgegangen. So befand eine richterliche Untersuchungskommission ausdrücklich, daß der Verteidigungsminister die politische Verantwortung für Übergriffe von militärischen Mordkommandos tragen müsse. Aber de Klerk entschuldigte General Magnus Malan. Er bleibt Verteidigungsminister.

Spekulationen über Militärputsch

In linken intellektuellen Kreisen wird inzwischen schon darüber spekuliert, daß es bald einen Militärputsch geben könnte, um den Reformprozeß aufzuhalten. „Wir hatten vergessen, daß 95 Prozent der Leute, die für Recht und Ordnung sorgen sollen, de Klerk nicht unterstützen“, sagte die Schriftstellerin Nadine Gordimer zur Jahreswende in einem Interview. „[De Klerk] kann nicht einmal auf die Unterstützung aller Mitglieder seines Kabinetts zählen.“ Was ANC und de Klerk vom neuen Jahr erwarten, wird bald zu erfahren sein. Der ANC wird gewohnheitsgemäß zur Feier seines 79. Geburtstages am 8. Januar sein Jahresprogramm ankündigen. De Klerk wird seine Reformpläne zur Eröffnung des Parlaments am 1. Februar in Kapstadt bekanntgeben.

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