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Haitis alte Mächte versuchten den Putsch

Roger Lafontant, Innenminister der 1986 gestürzten Duvalier-Diktatur, nahm den Präsidentenpalast ein/ Armeeführung verurteilte Staatsstreich/ Amtsübergabe an Pater Aristide, Wahlsieger vom Dezember, in Frage gestellt  ■ Von Thomas Schmid

Berlin (taz) — Haitis „friedliche Revolution“ vom vergangenen Dezember hat die alten Kräfte auf den Plan gerufen. In der Nacht zum Montag übernahm Roger Lafontant, Innen- und Polizeiminister der 1986 gestürzten Diktatur von Jean-Claude Duvalier, alias „Baby Doc“, die Macht auf der Karibikinsel und droht damit den für den 7.Februar vorgesehenen Amtsantritt von Pater Aristide zu verhindern, der aus den ersten freien Wahlen in der Geschichte des Landes vor drei Wochen mir 67 Prozent der Stimmen als Sieger hervorgegangen war. Doch noch gestern abend gab die Armee die Festnahme des Putschisten bekannt, der mit erhobenen Händen aus dem Präsidentenpalast gekommen sei. Der Putsch war auch im Weißen Haus auf offene Ablehnung gestoßen.

Die spärlichen Informationen, die aus Haiti kommen, sind widersprüchlich. Gegen zehn Uhr nachts (Ortszeit) war es am Sonntag zu einer etwa zwei Stunden andauernden Schießerei in der Nähe des Präsidentenpalastes und den angrenzenden Dessalines-Kasernen gekommen. Kurz nach Mitternacht lobte dann Präsidentin Ertha Pascal-Trouillot in einer Rundfunkansprache die Streitkräfte, die ihr Bestes getan hätten, um „Leben und Eigentum zu schützen und Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten“. Dann erklärte sie: „Um des Glückes dieses Landes willen, das wir alle sehr lieben, bin ich gezwungen, als provisorische Präsidentin zurückzutreten.“ Eine Minute später meldete sich Lafontant ebenfalls über Rundfunk zu Wort: „Auf Aufforderung der Streitkräfte und der Polizei hin übernehme ich heute morgen das provisorische Präsidentenamt der Republik.“ Noch ist unklar, wie weit die Armee den Putsch tatsächlich mittrug. Doch zumindest das Oberkommando schien sich gegen den Putsch zu stellen. Armeechef Hérard Abraham forderte die Bevölkerung am Montag morgen auf, „Ruhe zu bewahren“ und mit der Armee zusammenzuarbeiten. Eine „im Solde von Roger Lafontant stehende Gruppe von Meuterern“ habe die amtierende Präsidentin zum Rücktritt gezwungen und als Geisel genommen. Die Armee treffe gegenwärtig Maßnahmen, um „die Lage im bestmöglichen Zeitraum und mit möglichst geringen Verlusten wieder zu normalisieren“.

Ungewiß ist neben dem Schicksal der Präsidentin, deren Freilassung das US-Außenministerium inzwischen offiziell forderte, auch das ihres designierten Nachfolgers. Nach unbestätigten Berichten soll der Wahlsieger vom Dezember, Jean- Bertrand Aristide, in der französischen Botschaft um Asyl gebeten haben. Anderen Quellen zufolge ist er in Militärhaft. Seine Anhänger errichteten am Montag morgen in den Armenvierteln der Hauptstadt Port- au-Prince aus Angst vor Mord- und Schlägertrupps Barrikaden aus brennenden Autoreifen.

In Haiti, dem ärmsten Land der westlichen Hemisphäre, hat der Wahlsieg von Pater Aristide Hoffnung auf eine wirkliche Demokratisierung aufkommen lassen. Sieben Machtwechsel und drei Militärputschs hat die Karibikinsel seit dem Sturz der Duvalier-Diktatur im Februar 1986 hinter sich, ohne daß sich im Land viel verändert hätte. Haiti hat die höchste Kindersterblichkeit und Analphabetenrate und die niedrigste Lebenserwartung Amerikas. Die Wälder sind weitgehend abgeholzt und die Böden erodiert, längst ist die Wäsche von Kokain-Dollars zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor aufgestiegen. Nachdem die Militärs im November 1987 die Wahlen mit einem Blutbad beendeten, stellten die USA bis auf einige wenige humanitäre Leistungen jegliche Wirtschafts- und Militärhilfe ein.

Die Wahlen vom vergangenen Dezember waren in dem von wirtschaftlicher Misere und staatlichem Terror arg gebeutelten Land dann tatsächlich eine Premiere. Unter militärischem Schutz und unter den Augen von Hunderten internationalen Beobachtern und Journalisten kam es zum ersten freien und korrekten Urnengang auf der Insel. Sieger wurde jemand, der weder die politische Klasse noch die traditionellen Parteien noch die wirtschaftlichen Mächte noch die USA noch die kirchlichen Würdenträger hinter sich hatte, sondern das einfache Volk: Pater Aristide, ein Pfarrer aus einem Armenviertel der Hauptstadt, ein Befreiungstheologe, der aufgrund seiner radikalen politischen Positionen aus dem Salesianerorden ausgeschlossen worden war und den Haitianern eine Reihe von gesellschaftlichen Reformen in Aussicht stellte, mit dem Terror der Mörderbanden aufzuräumen versprach und drei Attentate überlebte. „Man muß gegen die teuflischen Kräfte der institutionalisierten Gewalt den Widerstand organisieren“, hatte der Doktor in Bibelexegese schon einen Monat vor dem Sturz Duvaliers verkündet. Unter dem Militärregime von General Henri Namphy, das die Herrschaft „Baby Docs“ ablöste, geriet Aristide wegen seiner pastoralen Arbeit zunehmend ins Schußfeld der Amtskirche. Heute fordert er nicht nicht weniger als die Enteignung der Reichen. Noch kurz vor den Wahlen rügte die haitianische Bischofskonferenz den populären Pater in einem Hirtenbrief und verurteilte die Politisierung der in der sogenannten Volkskirche zusammengeschlossenen kirchlichen Basisgemeinden, deren wichtigster Repräsentant Aristide ist.

Aristide hatte sich erst Mitte Oktober für eine Kandidatur entschieden — als Reaktion auf die Kandidatur Roger Lafontants, der sich in der Öffentlichkeit rühmte: „Ich bin ein Macoute und stolz darauf.“ Lafontant war als Innen- und Polizeiminister unter „Baby Doc“ auch oberster Chef der Tontons Macoutes („Onkel Menschenfresser“), einer Privatmiliz der Duvalier-Diktatur. Nach deren Sturz wurde die Terrortruppe offiziell aufgelöst, faktisch aber zum großen Teil in die Armee integriert und führt seither dort offenbar ein relatives Eigenleben. Die Kandidatur Lafontants, der erst im Frühjahr aus seinem dominikanischen Exil nach Haiti zurückgekehrt war, wurde vom Wahlrat abgelehnt — nicht weil gegen den prominenten Duvalieristen ein nicht vollstreckter Haftbefehl wegen Folter, Mord und illegaler Bereicherung vorliegt, sondern aufgrund eines Formfehlers. Nach dieser Entscheidung kündigte Lafontant Rache an: Er werde nicht akzeptieren, daß ein Analphabet und Kommunist wie Aristide Präsident seines Landes werde. Am 5. Dezember überstand der streitbare Pater ein Attentat, das sieben Tote und über 50 Schwerverletzte forderte. Der Justizminister ließ durchsickern, er habe Beweise, daß Lafontant das Attentat in Auftrag gegeben habe.

Sicher haben die USA kein Interesse an einer Rückkehr der alten Duvalieristen zur politischen Macht. Der Kandidat des Weißen Hauses hieß Marc Bazin, ein Weltbank-Beamter, der gerade etwa 15 Prozent der Stimmen erhielt. Doch warnte noch kurz vor dem Wahlgang der US-Botschafter in Port-au-Prince die Haitianer: Sie würden es noch bereuen, wenn sie ihre Stimme Aristide gäben.

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