Linkes Familientreffen — ratlos

Mitglieder verschiedener Organisationen von den Grünen bis zur PDS diskutierten in Berlin über ihre Perspektiven nach der Wahlniederlage vom 2. Dezember/ Grabenkriege sollen überwunden werden/ Eine „Oppositonskonferenz“ wird anvisiert  ■ Aus Berlin Beate Seel

Im Ostberliner Haus der Demokratie fand am Sonntag ein Familientreffen besonderer Art statt: Rund Hundert InteressentInnen waren einem Aufruf von Mitte Dezember gefolgt, linke Perspektiven im vereinten Deutschland jenseits der Parteizugehörigkeiten zu diskutieren. Man blieb unter sich, man kannte sich, ehemalige grüne Parteifreunde sahen sich wieder. Noch-Mitglieder der Berliner Alternativen Liste dominierten das Treffen, dazu kamen Aussteiger wie Harald Wolf oder Birgid Arkenstette, der ehemalige Grüne Dieter Hummel, der Noch- Bundesgeschäftsführer Eberhard Walde, Manon Tuckfeld aus Frankfurt („Radikalökologin und zur Zeit noch in den Grünen organisiert“), und am Nachmittag schaute auch Christian Ströbele vom Bundesvorstand herein. PDS, Vereinigte Linke und der Unabhängige Frauenverband waren ebenfalls mit mehreren Mitgliedern vertreten.

Vor allem der erste Teil der aus Zeitgründen schlecht vorbereiteten und unstrukturiert verlaufenden Debatte war von einer allgemeinen Ratlosigkeit geprägt. Längere Schweigeminuten ermutigten einzelne Anwesende, besondere Absurditäten zum Besten zu geben. Da war von einem Bürgenkrieg die Rede, der die Wahlniederlage der Grünen verursacht habe, von der Notwendigkeit, eine „intelligent aufgebaute Organisation von oben nach unten mit härtester Disziplin“ ins Leben zu rufen. Ein Sozialdemokrat meinte, der Sozialismus müsse Spaß machen und dürfe nicht die Menschheit zerstören — eine Äußerung, die Walde als die bislang einzig inhaltliche lobte.

Die Wahlniederlage der Grünen, der eigentliche Anstoß zu diesem Treffen, wurde nur am Rande gestreift. Während die einen das Ergebnis vom 2. Dezember als „gemeinsame Niederlage“ werteten, waren die Wahlergebnisse für andere lediglich Ausdruck für die Stimmung in der Bevölkerung und ansonsten nicht weiter bedeutsam. Zwar war man zusammengekommen, weil man gemeinsam etwas machen wollte, doch ob dies nun in einer theoretischen Aufarbeitung des Scheiterns des real existierenden Sozialismus und seiner Konsequenzen oder in gemeinsamen Aktionen zu bestimmten Themenfeldern bestehen sollte, blieb zunächst offen. Walde wollte gar nicht erst von einer Krise reden, die Optionen seien doch klar: die Grünen und die PDS halten ihren „Parteiladen“ zusammen; man ruft ein Bündnis jenseits der Organisationen ins Leben; oder man gründet eine neue Avantgarde, einen neuen „Laden“. Zu den wenigen Parteigründern der Runde zählte Detlev Wiegrefe aus der Redaktion des Westberliner Szene- Blatts 'ProWo‘. In bekannter Manier kam die Kritik an den jeweils anderen nicht zu kurz. Mehrere Redner kritisierten die „Ausgrenzung“ der Radikalen Linken. Demgegenüber wollten sich „einige Leute aus der 'ProWo‘-Redaktion“ in einem schriftlichen Vorschlag zu einem Kongreß just von dieser Strömung abgrenzten. Manon Tuckfeld nahm ihre Berliner ParteifreundInnen und ehemaligen rot-grünen Koalitionäre aufs Korn und wollte zunächst einmal wissen, wie die einzelnen Anwesenden die Opposition innerhalb ihrer eigenen Gruppe betrieben haben.

Andere, wie Helga Adler, Jürgen Reents oder Michael Stamm (Linke Liste/PDS) riefen nachdrücklich dazu auf, diese Grabenkämpfe endlich zu überwinden. Man müsse akzeptieren, daß einzelne in der Runde in bestimmten Fragen unterschiedliche Positionen hätten, dies hindere jedoch nicht an einer Zusammenarbeit in der Sache. Stamm kritisierte auch das ständige Beklagen des Verlustes von Utopien, mit denen man ja nicht nur gut gelebt habe und die dazu geführt hätten, daß man vor manchem die Augen verschlossen habe. Er führte zur Positionsbestimmung der linken Opposition in der Gesellschaft einige „Trennungslinien“ an, die in ihrer reinen Aufzählung allerdings wenig Neues versprachen: der Krieg am Golf und seine „diplomatische Vorbereitung“, die vorherrschende Konzentration auf deutsche Probleme, die Ausländerpolitik, die anstehenden sozialen Konflikte. Auch Adler plädierte dafür, die durch die Vereinigung entsandenen sozialen Probleme nicht der Rechten zu überlassen. In zum Teil sehr langatmigen Beiträgen sprachen sich viele Anwesende für die Entwicklung einer außerparlamentarischen Opposition aus. Diejenigen, die dann in ihren „Parteiläden“ ihren Kopf dafür hinhielten, müßten mit internem Druck rechnen und dann „unter Umständen Konsequenzen ziehen“ (Stamm). In den letzten Monaten habe es eine „Kontaktsperre“ (Reents) gegeben. Solche Probleme gegenüber der Linken Liste/PDS hatten die Anwesenden nicht.

Als sich die Reihen bereits gelichtet hatten, entschied sich der Rest der Runde auf Vorschlag des Diskussionsleiters Dieter Hummel dafür, das nächste Mal lieber über einzelne Themen zu diskutieren statt nochmals eine allgemeine Debatte zu führen. Ein Vorbereitungskomitee, scherzhaft auch „Komitee zur Familienzusammenführung“ getauft, wurde ins Leben gerufen, um das nächste Treffen vorzubereiten. Dann soll auch über die Einberufung einer „Oppositionskonferenz“ geredet werden.