„Pendeln statt Abwandern“

Arbeitslosigkeit in Ost und West gestiegen/ Talsohle in der Ex-DDR noch nicht erreicht/ Präsident der Bundesanstalt für Arbeit rät zum Pendeln/ Fink: Pendeln ist kein Mittel gegen Arbeitslosigkeit  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Steigende Arbeitslosenzahlen sind für den Präsidenten der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BfA), Heinrich Franke, derzeit kein Grund zur Beunruhigung. Der Anstieg gegenüber dem Vormonat November um knapp 100.000 in den alten Bundesländern bezeichnete er als „bescheiden“, saisonbereinigt bedeute dies gar einen Rückgang. Die nochmalige Zunahme der Arbeitslosigkeit in der ehemaligen DDR um 53.000 sei „verhältnismäßig moderat“. „Auf Sicht“ erlebten die neuen Bundesländer sowieso ihren „ökonomischen Take-off“.

Aufgrund der gegensätzlichen Entwicklung der beiden Arbeitsmärkte kommt Franke zu dem Schluß, daß „das Jahr 1990 den Deutschen die staatliche Einheit“ gebracht habe, aber „noch nicht die Einheitlichkeit der ökonomischen und sozialen Lebensverhältnisse“. So sank die durchschnittliche Arbeitslosenquote in der ehemaligen BRD von 7,9% (1989) auf 7,2% (1990). Erstmals seit 1982 liegt damit die Arbeitslosenzahl unter 1,9 Millionen. In der ehemaligen DDR ist dagegen die Arbeitslosenquote von 1,6% im Juni auf 7,3% im Dezember gestiegen. Derzeit sind dort 642.000 Menschen arbeitslos. Die Zahl der Kurzarbeiter erhöhte sich von 656.300 im Juli auf derzeit knapp 1,8 Millionen. Gleichzeitig hat das Ausmaß des Arbeitsausfalls zugenommen. Im Dezember war bei 41% der Kurzarbeiter die Arbeitszeit um mehr als die Hälfte reduziert. Die „langsamere Verschlechterung“ im Osten dürfe, so Franke, jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß „das Arbeitsplatzvolumen, das noch abgebaut werden muß, nach wie vor beträchtlich“ sei.

Der BfA-Präsident warnte vor einer weiteren Abwanderung von Arbeitskräften von Ost nach West, obwohl „regionale Mobilität ökonomisch grundsätzlich sinnvoll“ sei. Da aber dadurch für die „anstehende Umstrukturierung“ Arbeitskräfte verlorengingen, rät Franke den Bürgern der neuen Bundesländer zum Pendeln, wie es nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aktuell etwa 200.000 schon tun. Pendler seien nicht arbeitslos, erhielten im Westen zusätzliche Qualifikationen und stünden dann vor Ort schnell als qualifizierte und flexible Arbeitskräfte bereit, zählt Franke die Vorzüge seines Vorschlags auf. Seine einfache Formel lautet: „Pendeln ist meist besser als Abwandern.“

Mit dem Stand des Aufbaus der Arbeitsverwaltung in der Ex-DDR ist Franke hochzufrieden. „Ich bin stolz, daß wir die einzige Behörde sind, die funktioniert.“ Er appelliert an die Wirtschaft, daß es nicht alleinige Aufgabe der BfA sei, für eine entsprechende Qualifizierung der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern zu sorgen. So ist die als Durchbruch gefeierte Milliardeninvestition von Opel in Eisenach nicht unwesentlich durch das Engagement der BfA vor Ort erleichtert worden. Für knapp 16 Millionen DM übernimmt die BfA die Schulung von 3.000 Arbeitnehmern für deren spätere Beschäftigung bei dem Autokonzern.

Der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Ulf Fink, hat den Vorschlag des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft kritisiert, Arbeitssuchenden aus den östlichen Bundesländern Arbeit im Westen anzubieten. Nach Presseberichten sagte Fink: „Wir müssen dafür sorgen, daß die Menschen gutbezahlte Arbeit dort finden, wo sie leben. Der Osten darf nicht ausbluten.“ Ein starker Pendlerstrom schaffe zudem in den westlichen Ländern zusätzliche Probleme, beispielsweise auf dem Wohnungsmarkt. Den Arbeitnehmern würden oft schlechte Arbeitsbedingungen geboten, etwa Jobs, die nicht sozialversicherungspflichtig seien.