Jetzt beginnt der Kampf um die Gunst der Macht

■ Trotz ruhender Arbeitsverhältnisse begann Studienbetrieb an der Berliner Humboldt-Universität/ Rektor Fink kämpft als einziger Rektor weiter gegen die Abwicklung wichtiger Fachbereiche/ Viele Professoren für Erneuerung, aber eigener Stuhl soll bleiben/ Studentenrat greift in Personalfragen ein

Berlin (taz) — Sie bleiben, und sie machen weiter wie bisher. Kaum einer der Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter hat mit Studienbeginn in der Berliner Humboldt-Universität gefehlt, obwohl niemand aus den fünf abgewickelten geisteswissenschaftlichen Fachbereichen in den Hörsaal oder seinen Schreibtisch bräuchte. Ihre Arbeitsverhältnisse ruhen seit dem 1. Januar und damit ihre „ihre Verpflichtung zur Arbeitsleistung einerseits und zur Vergütungszahlung andererseits“, wie es im einheitlichen Abwicklungsbescheid heißt. Diesen jedoch haben die meisten Mitarbeiter noch gar nicht erhalten und Rektor Heinrich Fink hofft immer noch, sie auch nicht weiterreichen zu müssen. Seine Klage gegen den Beschluß der Landesregierung, die Fachbereiche Rechts-, Erziehungs- und Wirtschaftswissenschaften, Philosophie und Geschichte abzuwickeln und neuzustrukturieren, soll verhindern, daß dieser durchgesetzt wird.

Die Stimmung unter den Abgewickelten ist depressiv. Ihre Therapie dagegen lautet Arbeit. Aber die meisten belassen es beim passiven Widerstand. Auf den Vorschlag der Studenten hin, die Professoren sollten die befristeten Arbeitsverträge nicht unterschreiben, gab es verständliche Ausflüchte und Ängste. Jeder nimmt irgenwann lieber die ihm zustehenden 70 Prozent seines Gehaltes und den Platz in der Warteschleife ein, als Hausverbot und keinen Pfennig zu bekommen.

Die Situation an der Uni bekommt etwas Irreales. Einerseits tagt der Akademische Senat routinemäßig, bereitet unter anderem die Konzilwahlen vor. Die im Dezember gebildeten Personalstrukturkommissionen werden demnächst, wie Fink sagte, viele Kündigungsanträge einreichen. Andererseits weiß heute niemand, ob ohne oder mit den abgewickelten Bereichen eine Konzilwahl möglich ist. Unklar bleibt, wie die neuen Fachbereiche ohne die entsprechenden Gremien, ob für Berufsvorschläge, Prüfungsverfahren oder Lehrpläne, aufgebaut werden sollen. Alles müßte neu geschaffen werden, meint der Kanzler Karl Schwarz. Dies unter der Maßgabe, den „verordneten Neuanfang bis Oktober abzuschließen“, hält er für ausgeschlossen. Für den von der Technischen Universität Berlin an die Seite von Fink entsendeten Juristen bedeutet die Abwicklung „ein Angebot zum Wettlauf mit der Gunst der Macht“. Schwarz zeichnet ein trauriges Szenario für die nächsten Monate: Einzelne Leute werden sich auf Kosten anderer empfehlen. Leute mit fachlichen Qualitäten entziehen sich gleich diesem unwürdigen Verfahren und werden woanders hingehen. Diejenigen, die fachlich keine Chancen haben, werden sich anbiedern, weil anderen politisch-moralisch mehr vorzuwerfen ist. „Vielleicht bringt das am Ende zusammengewürfelte neue Fakultäten zustande, die aber, zum großen Teil aus Westlern bestehend, die Gespräche darüber, wer was gemacht hat, beenden, sagt Schwarz, der an der TU jahrelang Erfahrungen mit dem Aufbau von Universitätsteilen gemacht hat.

Aber wie kommt man dem „reformgelähmten Lehrkörper“, so Fink, bei. Die Professoren seien zwar an Reformen interessiert, schätzt Studentenratssprecher Ilko Kowalczuk ein, aber der eigene Stuhl sollte dabei schon erhalten bleiben. Vielen Hochschullehrern ist die Konsequenz, mit der die Studenten alte Kadern oder mittelmäßige Dozenten aus der Uni drängen wollen, gar nicht geheuer. Bei der allgemeinen Abwicklung, haben sie noch die Hoffnung, unentdeckt wieder eingestellt zu werden. Aber das Urteil der Studenten wird hart und eindeutig ausfallen, sie wollen mit Abschlüssen auf den Arbeitsmarkt gehen, die ihnen eine Chance geben. Sie bestehen bei einer Überprüfung der Lehrkräfte auf drei Kriterien: wissenschaftliche Qualität, Lehrbefähigung und poltisch-moralische Integrität.

Aus seinem eigenen Fachbereich, Geschichte, fallen ihm sofort zwei Namen ein. Der Faschismusforscher Kurt Pätzold, der zwar einer der kompetentesten und international anerkannten Wissenschaftler ist. Aber Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre beteiligte er sich an politischen Maßnahmen gegen zwei Studenten, die dann von der Uni flogen. Oder Siegfried Prokop, der als Experte für DDR-Geschichte „bis zum Schluß Durchhalteparolen ausgegeben hat“, sagt Ilko. Seit einem dreiviertel Jahr sei er nicht nur gewendet, sondern wie ausgetauscht. Den 8. Mai 1945 interpretiert er heute in seinen Vorlesung als Niederlage des faschistischen Deutschlands.

Es geht den Studenten nicht darum, jetzt ein Tribunal zu errichten oder Berufsvervote auszusprechen. Aber man könne, so Ilko, nicht die alten Sieger zu neuen in der Geschichte erklären. Problematisch ist, daß auch heute noch, die Masse der Studenten solchen fachlichen Unsinn, wie von Prokop ohne Widerspruch hinnimmt und fleißig mitschreibt. Kaum einer würde in der Vorlesung aufspringen, nur wenige gehen gar nicht erst hin. Der aktive Kern des Studentenrates hat auch hart gegen das Desinteresse vieler Kommilitonen zu kämpfen. Der geplante Warnstreik wird zeigen, ob sie die Mehrheit mobilisieren konnten, wieder ein Zeichen für eine selbstbestimmte Erneuerung ihrer Universität zu setzen. Anja Baum