Zarah, Marlene und die anderen

■ Gespräch mit Kulturbeleber Rolf Wolle über schwule Frauenidole, Spaßhaben, Outing und Frau Beimer

Rolf Wolle ist seit kurzem das Ein- Mann-“Kulturreferat für gleichgeschlechtliche Lebensweise“ im Bremer Rat und Tat-Zentrum. Er ist gelernter Musiklehrer und Kabarettist und will nun der schwulen Kultur nicht nur mehr Spaß verordnen, sondern belebt auch selbst als Gisela die Szene.

taz: Hat das Kulturreferat ein neues Kultur-Konzept?

Rolf Wolle: Ja. Dieses neue Konzept bedeutet mehr Lust, mehr Spaß, neue Spontaneität in unser Cafe Homolulu und unter die Schwulen zu bringen.

Wie organisiert man Neue Spontaneität?

Zum Beispiel, indem wir mehr witzige Filme zeigen, etwa Jaques Tati. Warum: Weil der Film „Mein Onkel“ ein Film ist, wo du mal sehen kannst, wie schrecklich die Hetero-Welt ist. Aber vor allem ist es ein Film, der Spaß macht, der nicht von armen Wesen handelt.

Im Dezember habt Ihr plötzlich lauter Geburtstage berühmter Frauen gefeiert, u.a. von der Künneke, der Piaf?

Es gibt einfach eine schwule Realität, die ist meßbar an Frauentypen, die in der Travestie-Szene bevorzugt werden. Das sind Marianne Rosenberg, Marlene Dietrich, Zarah Leander, bißchen Evelyn Künneke, Marylin Monroe, auch Hilde Knef.

Warum ausgerechnet diese Frauen und diese Liebe zum deutschen Schlager?

Vielleicht, weil der so bescheuert ist, daß man ihn nur noch parodieren kann. Und bei Marianne Rosenberg sind die Texte so entsexualisiert, daß jeder damit gemeint sein kann, natürlich erst recht ein Schwuler.

Und die anderen Frauenbilder?

Also bei Hilde Knef und Zarah Leander ist es einfach diese schöne tiefe Stimme. Aber auch diese Erotik, so ein Hauch von Unnahbarkeit, von Sinnlichkeit. Im Prinzip kannst du die Frauen, die Schwule so als Idol ansehen, in mehrere Gruppen einteilen. Da gibt's einmal den männerverschlingenden Vamp wie Marlene Dietrich oder Marylin, dann die unnahbare Diva, also die Callas oder die Leander, oder Mischformen, die große selbstbewußte Diva, die ein ganz tolles Verhältnis zu Männern hat, z.B. Milva. Und dann die mütterlich Leidende. Etwa die Piaf, die Kleine, die sich aber durchsetzt.

Hast Du ein Lieblingsfrauenbild?

Meine Lieblingsfrau ist Frau Beimer. Und zwar so, wie sie in „Stars in der Manege“ ihre Pudelnummer vorgeführt hat. Schrecklich.

Dieses Muttchen??

Sie ist für mich Vorbild für eine Rolle, die ich ausprobiert habe auf der Rat und Tat-Geburtstagsgala im Dezember. Da habe ich als „Gisela“ zusammen mit „Dörthe“ ein Wohngemeinschaftspaar vom Ostertorsteinweg gespielt. Wir haben eine neue Art Variete- Unterhaltung ausprobiert, die sich u.a. manifestiert hat im „Schmidts“ in Hamburg, die ein bißchen in Mode kommt. D.h. die Moderatoren spielen Situationen, gehen miteinander ziemlich gemein um. Und die beiden laden sich Gäste ein, woraus ein Variete entsteht — wo Künstler, die nicht bekannt sind, einem großen Publikum vorgestellt werden.

Was für Frauen spielt Ihr?

Jochen, der die Dörthe gespielt hat, ist groß und hoch, kann alles, kriegt jeden Mann und hackt immer auf der Kleinen rum, die Kleine bin ich, Gisela. Und für meine Rolle als Gisela — mit ie gesprochen! — hab' ich ein Vorbild in meinem Tantenkreis gefunden: eine zurückhaltende, ss- teife, vornehme Person. Das andere Vorbild war eben Frau Beimer mit ihren Pudeln.

Ihr habt auf der Gala auch ein kleines „Outing“ eines bekannten Bremer TV-Journalisten gemacht. Das kommt ja aus Amerika, und es ist, gelinde gesagt, sehr umstritten, öffentliche Persönlichkeiten ihrer Homosexualität zu überführen. Wird das bei Euch diskutiert?

Es ist eine Frage, die uns als Schwule schon beschäftigt. Ich glaube, wir haben hier aber nicht so eine schwule Gemeinschaft, nicht so eine Community, die gemeinsam so viel Wut aufbauen kann, um einen schwulen Politi

hierhin bitte dir

Transvestiten

Rolf „Gisela“ Wolle rechts, Dörthe links

ker echt anzukreiden. Mir wäre politisch viel wichtiger, daß die Schwulen hier so etwas spüren wie eine Community. Daß wir uns auch in unserer Verschiedenheit akzeptieren können — daß es den schwulen Bankangestellten geben kann und den schwulen Studenten und genauso einen, der meinetwegen Geranien im Fenster hat, daß das nichts ausmacht. Wie es eben in USA ist. Die schwule Szene hier gliedert sich in zu viele Einzelfamilien. Ich finde viel wichtiger als Outing, daß wir uns Gedanken darüber machen, wie wir z.B. mit dem schwulen Boykott gegenüber dem Philipp-Morris-Konzern politisch umgehen, der ja durch Gelder diesen rechtsradikalen Senator unterstützt. Der Erfolg war auch schon da, und zwar ist bei uns im Cafe Homolulu ein Szeneaufklärer aufgetaucht, der extra von dem Konzern abgestellt wurde, die schwule Szene hier — und in anderen Städten — abzuklappern, zu besänftigen. Der hat versucht, dem Zentrum eine Spende anzubieten. Und Marlboro-Aschenbecher hat er auch dabei gehabt...

Habt Ihr angenommen?

Nein. Wir haben gefordert, daß jede Zahlung an den Senator eingestellt wird und dann veröffentlicht wird. Man sieht aber daran, daß eine schwule Gemeinschaft was nützt. Ich finde einfach, wir Schwulen sollten nicht immer wegen Problemen bei einer Tasse Tee zusammensitzen, dieses Image können wir nicht aufrechterhalten.

Ziehen viele nicht auch Selbstverständnis aus exotischer Abgrenzung?

Nee, es geht nicht um die Abgrenzung, es geht um das Gefühl, das ich als Schwuler zu meiner Lebensweise selber habe. Ich finde es ein Stück weit besonders, daß ich so leben kann. Das liegt daran,

daß ich bei meinem Coming-Out gedacht habe, auwau, jetzt hast du das erste Mal mit einem Mann was im Bett gehabt, jetzt kannst du ja noch'n Stück mehr als andere. Ich hab' das als ein Plus erlebt, als einen Farbklecks im Leben mehr.

Fragen: claks