Treuhand will Gasag ausbooten

■ Privatisierung der Ost-Berliner Erdgas AG erwogen/ Gasag entschlossen, historisches Recht auf Gasversorgung im Ostteil gegebenenfalls gerichtlich durchzusetzen/ Erdgas AG soll einen »relativ hohen Unternehmenswert« beim Aktienverkauf haben

Berlin. Offenbar mit Rückendeckung des Bundeswirtschaftsministeriums erwägt die Ostberliner Treuhandanstalt jetzt auch einen Ausverkauf der Gasversorgung in Ost-Berlin an westdeutsche und ausländische Gasversorgungsunternehmen. Derzeit sei man in einem »Überlegungsprozeß«, ob 51 Prozent des Aktienkapitals der Ost-Berliner Erdgas AG privatisiert werden sollten, erklärte auf Anfrage der Treuhand-Sonderbevollmächtigte für die Energiewirtschaft, Hans-Peter Gundermann. Entsprechend dem Einigungsvertrag könne sich das Land Berlin dann noch mit 49 Prozent beteiligen. Laut der nach der Währungsunion erstellten DM-Eröffnungsbilanz habe die Erdgas AG nämlich einen »relativ hohen Unternehmenswert«, der bei einem Aktienverkauf in vollem Umfang realisiert werden müsse. (Den Satz dreimal langsam lesen und sich auf der Zunge zergehen lassen!, d. säzzer) Die Gasag, die wie Senat und Magistrat an der Fusion zu einem städtischen Eigenbetrieb interessiert ist, wolle aber für den Mehrheitsanteil nur einen »Freundschaftspreis« hinblättern. Obwohl die Treuhand ebenfalls für ein einheitliches städtisches Gaswerk sei, stelle dies die entscheidende Hürde dar, so der Treuhand-Bevollmächtigte. Allerdings werde man die Privatisierung »nicht übers Knie brechen« und vorher das Gespräch mit den politischen Entscheidungsträgern (es lebe die Journalisten-Floskel, d. säzzer) des neuen Senats suchen.

Nach Darstellung des stellvertretenden technischen Geschäftsleiters der Gasag, Kramer, kommt der Schwenk der Treuhand auch für die Gasag überraschend. Noch im November sei mit der Treuhand ein unterschriftsreifer Vertrag zur Übernahme der Erdgas AG ausgearbeitet worden. Der Vertrag sei bis spätestens Anfang Dezember von beiden Seiten zu unterschreiben gewesen. Kramer zufolge gab die Treuhand zum Termin zu verstehen, sie müsse mit dem Bundeswirtschaftsministerium noch die sogenannten Restitutionsansprüche der Gasag klären.

Laut Kramer geht es dabei einmal um die fortdauernden Konzessionsrechte zur alleinigen Gasversorgung Berlins sowie des Umlandes, die der Rechtsvorgängerin der Gassag schon 1932 vom damaligen Magistrat erteilt wurden. Zum anderen bestehe ein Anspruch auf die Übertragung der Betriebsgrundstücke und -anlagen einschließlich des Leitungsnetzes in Ost-Berlin, den die Treuhand zunächst ebenfalls akzeptiert habe. Wie Kramer erläuterte, beruft sich die Anstalt auf eine von der Bundesregierung veröffentlichte »Arbeitsanleitung zur Übertragung des kommunalen Vermögens«.

Die Gasag denkt freilich nicht daran, sich das Recht auf die Gasversorgung auch in Ost-Berlin abkaufen zu lassen. Wenn es »hart auf hart« komme, werde man die Treuhand verklagen, sagte der Geschäftsleiter, der den geänderten Kurs der Anstalt als »politisch geradezu abenteuerlich« bezeichnete. Seines Wissens wollen bei der Erdgas AG diverse westdeutsche Gasversorgungsunternehmen einsteigen.

In rund acht, maximal zehn Jahren könnten die bislang getrennten Gasrohrnetze in den Stadthälften wieder zusammengefügt sein, so Kramer. Der notwendige Bau von überlagernden Druckreglerstationen an den Nahtstellen der Netze sowie die Sanierung der überalterten Rohre in Ost-Berlin kosteten etwa 400 bis 500 Millionen DM. Mit Erdgas versorgt wird bis jetzt nur Ost-Berlin. Schon bald beginnt jedoch auch in den ersten Westberliner Bezirken das Erdgaszeitalter. Die Gasag beabsichtigt, ab dem 1.April in den Neuköllner Ortsteilen Britz, Buckow und Rudow sowie angrenzenden Teilgebieten von Tempelhof und Mariendorf die ersten Gasgeräte von Stadtgas auf Erdgas umzustellen. Im März 1993 soll die Umrüstung der rund 800.000 Gasgeräte bei den Westberliner Verbrauchern abgeschlossen sein. Thomas Knauf