»Am besten, ihr packt sofort eure Sachen«

■ Hausbesetzer der Pfarrstraße und rechtsradikale Jugendliche stritten über eine geplante Begegnungsstätte für junge Leute in der Pfarrstraße/ Besetzer verlangten, von »Fascho-Inhalten« abzuschwören/ Bohley versuchte zu vermitteln

Lichtenberg. »Solange ihr euch nicht von den Fascho-Inhalten distanziert, gibt es für uns kein Zusammengehen mit euch. Am besten, ihr packt eure Sachen und tschüß.« Damit brachte am Montag abend ein junger Hausbesetzer der Lichtenberger Pfarrstraße die Stimmung unter den Besetzern auf den Punkt, nachdem man sich im Bürgercafé »Napf« zwei Stunden lang die Köpfe heiß geredet hatte. Die Diskussion zwischen den Besetzern und den Rechtsradikalen war von dem Sozialdiakon der evangelischen Kirche, Michael Heinisch, initiiert worden. Der Hintergrund: Die Situation in der Pfarrstraße ist äußerst angespannt, weil Heinisch in der Pfarrstraße 111 eine Begegnungsstätte für Jugendliche der Frankfurter Allee Süd aufziehen will. Das Projekt stößt bei den Bewohnern der sechs besetzten Häuser in der Straße auf heftigen Widerstand, der damit begründet wird, ein Teil der Jugendlichen sei in der neonazistischen Partei Nationale Alternative (NA) organisiert. Heinisch streitet nicht ab, daß sich unter den Jugendlichen auch der eine oder andere Anhänger der NA befindet. Auch der ehemalige Vorsitzende der NA, Ingo H., der sein Mandat eigenen Angaben zufolge vor drei Wochen »aus persönlichen Gründen« niedergelegt hat, ist in der Pfarrstraße mit dabei.

Heinisch hätte das Projekt lieber in einer anderen Straße aufgezogen. Er mußte sich aber aber mit dem Angebot Pfarrstraße 111 der Wohnungsbaugesellschaft Lichtenberg (WBL) zufrieden geben. Nachdem im Dezember ein Mietvertrag mit 15jähriger Laufzeit und der Option auf Verlängerung unterzeichnet wurde, rückten in der vergangenen Woche die ersten Jugendlichen und Betreuer in der Pfarrstraße 111 an. Das Haus soll in einer zweijährigen Bauzeit von dem treuhänderischen Sanierungsträger L.I.S.T. unter Mithilfe der Jugendlichen instandgesetzt werden. Zehn ABM-Stellen für die Jugendlichen wurden bereits bewilligt, ob zehn weitere folgen, hängt von der künftigen Haushaltslage ab. »Wir bauen auf blauen Dunst hin«, erklärte Michael Heinisch mit Hinweis auf die ungesicherte Finanzlage.

Daß jetzt sogenannte Faschos damit begonnen haben, den Hinterhof der Pfarrstraße 111 zu entrümpeln, läßt den Hausbesetzern keine Ruhe. Bislang lassen sie es noch dabei bewenden, die arbeitenden Jugendlichen zu »fotografieren«, um sie zu »identifizieren und zu archivieren«. Die verbalen Anmachen häufen sich, es scheint aber nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann es zu den ersten Handgreiflichkeiten kommt. Um das zu verhindern, lud Michael Heinisch zusammen mit seinen Mitbetreuern und zehn Jugendlichen am Montag abend zur Diskussion ins »Napf«. Von der Besetzerseite waren rund 30 Männer und Frauen der Einladung gefolgt. Mit Heinischs Erklärung — »Wir sind hergekommen, um uns als Menschen vorzustellen« — wollte sich keiner zufriedengeben. Aufgefordert wurden die versammelten jungen Männer mit den kurzgeschorenen Köpfen vielmehr, ihre politische Gesinnung darzulegen und sich »öffentlich von der NA und der Ausländerfeindlichkeit zu distanzieren«. Sie distanzierten sich aber nicht im gewünschten Sinne, sondern beteuerten nur, daß die Besetzer der Pfarrstraße nichts von ihnen zu befürchten hätten. »Keiner aus dem Projekt wird jemanden anderen in der Pfarrstraße angreifen«, versicherte auch einer der Betreuer, der sich als Linker und PDS-Wähler vorstellte. Der Aufforderung, sich von der NA zu distanzieren, wurde entgegengehalten: »Wir verlangen von Euch doch auch nicht, monogam zu sein oder euch von der IRA zu distanzieren.« Doch die Besetzer ließen nicht locker. »Was haltet Ihr von der multikulturellen Gesellschaft?«, versuchte es eine Immigrantin, und »Wie denkt Ihr darüber, daß Minderheiten im KZ umgebracht worden sind?« Ein Jugendlicher, der seinen Kopf mit Ausnahme eines kleinen Vierecks kahlgeschoren hatte, erwiderte: »Wir werden auf keinen Fall Ausländer an die Wand stellen oder KZs bauen.« Den Hinweis, daß Skinheads schon mehrfach besetzte Häuser überfallen haben und man deshalb Angst habe, beantwortete er damit: »Ihr jagt doch auch Faschos«. Er bestritt nicht, auch »einmal Ausländer gejagt« zu haben, und begründete dies damit, von den Ausländern angegriffen worden zu sein. Auf Nachfrage der Besetzer gab er zu, daß nicht er selbst, sondern jemand, den er »kennt«, von einem Vietnamesen angegriffen worden sei.

Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley und Mitglieder der BI Pfarrstraße versuchten, die Besetzer zum Einlenken zu bewegen. »Ihr lebt hier zusammen und habt eine einmalige Möglichkeit. Hier fängt für mich an, was am 15.Januar am Golf vielleicht endet«, appellierte Bohley. Die Besetzer ließen sich nicht darauf verpflichten, sich bei übrigen Besetzern für ein Stillhalteabkommen einzusetzen. Es regte aber auch kein Widerspruch, als Heinisch vorschlug, bald wieder so ein Plenum abzuhalten. Plutonia Plarre