Unverblümter Pillenhandel

■ Trotz des Kompromisses zwischen Bundesregierung und Pharmaindustrie bleiben die Regale in Ostberliner Apotheken leer/ Patienten warten

Berlin. Der alte Mann schiebt skeptisch den kleinen grünen Bestellabschnitt über die Theke der Berolina- Apotheke in der Rosenthaler Straße. Er ist nicht das erste Mal hier, um seine dringend benötigten Zäpfchen gegen Migräne abzuholen — und er ist es auch nicht zum letzten Mal. Wieder mal zuckt die Apothekerin bedauernd mit den Schultern, wieder mal sind trotz dringender Bestellung bei den Westberliner Großhändlern keine Medikamente nach Ostberlin geliefert worden.

Der in der vergangenen Woche geschlossene Kompromiß zwischen CDU-Arbeitsminister Norbert Blüm und der Pharmaindustrie sollte den Lieferboykott von Medikamenten in die fünf neuen Bundesländer eigentlich wieder aufheben. Doch westdeutsche Arzneimittelprodukte kriegen die Ostberliner ApothekerInnen entweder gar nicht oder nur zum westdeutschen Preisniveau zu sehen. Dieter Koch, seit 25 Jahren Leiter der Concordia-Apotheke in der Kastanienallee, beurteilt die derzeitige Situation als »sehr anstrengend«: Permanent müsse er sich mit den verordnenden Ärzten abstimmen. Teils aufgrund modernerer Therapieformen, teils aufgrund der aggressiven Werbung seitens der Pharmaindustrie hatten viele Ärzte das letzte Quartal bis zum Jahreswechsel dazu genutzt, ihre PatientInnen auf westliche Produkte umzustellen. Jetzt aber, wo die Pharmaunternehmen aufgrund des im Einigungsvertrag festgelegten Preisabschlages von den Krankenkassen im Osten nur noch knapp die Hälfte für ihre Produkte verlangen dürfen, müssen sich die PatientInnen wieder umgewöhnen — zurück zur Palette ostdeutscher Anbieter. Die aber, so befürchtet eine Apothekerin aus der Geschäftsstelle am Alexanderplatz, werde auch langsam knapp. Betroffen sind besonders die auf Dauermedikation angewiesenen Zucker- und Gichtkranken — wenn auch alle ApothekerInnen immer wieder betonen, daß die Versorgung grundsätzlich derzeit noch nicht gefährdet ist.

Laut Frank Butschbacher, Sprecher des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, sei es derzeit noch unklar, wie die alte Ware zwischen den Unternehmen und den zwischengeschalteten Großunternehmen abgerechnet werden soll, weshalb die Lieferung zu reduzierten Preisen sich noch bis zu zwei Wochen hinauszögern könne. Im übrigen würden westliche Produkte ohnehin nur 20 Prozent des Medikamentenkontingents in östlichen Apotheken ausmachen. Genau, räumte Butschbacher ein, wisse der Verband aber auch nicht über die Lage im Osten Bescheid.

Nach Angaben von Gudrun Otto, stellvertretende Leiterin der Heinrich-Klaproth-Apotheke in der Leipziger Strasse, wurden hier bis zum Jahreswechsel die Regale noch fast zur Hälfte mit westlichen Produkten gefüllt. Soviele Bestellzettel sie heute jedoch auch ausfüllt — die Großunternehmen liefern nicht. »Die haben genug Ware auf Lager — aber eben nicht für uns«. maz