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„Das zähe Spiel am runden Tisch will beherrscht sein“

■ Was brach der Revolte in Geldern das Genick?/ Gekürzter Diskussionsbeitrag zum Artikel von W.F. vom 29.11.90

Die in Geldern abgelaufene Aktion wird dem Begriff „Revolte“ in keinster Weise gerecht — dazu hätte zumindest der Versuch gemacht werden müssen, die Schaltstellen der Macht mit Gefangenen zu besetzen, dazu hätte von Anfang an die Infrastruktur der Anstalt zugunsten autonomer Bewegungsfreiheit der Gefangenen durchbrochen werden müssen, dazu hätten Gefangene die organisatorischen Drahtzieher in Telefonzentrale, Wachzentrale und sämtlichen Büroräumen der JVA werden müssen. Niemand ist so naiv zu glauben, daß diese Sachverhalte ohne den massiven Einsatz von Gewalt hätten erzwungen werden können. Jeder sollte wissen, daß ohne die Verwirklichung erheblicher Straftatbestände eine solche radikale Umwälzung der Machtverhältnisse in der JVA Geldern unmöglich gewesen wäre — und ich überlasse es der regen Phantasie eines jeden, sich das Gewaltinferno, in dessen Folge jede Gefangenendiaspora zermalmt worden wäre, auszumalen.

Geht man also von der Hypothese aus, wir hätten die Verfolgung dieser militanten Ziele im Auge gehabt, wäre diese „Schlacht“ schon am Abend des 5.Oktober verloren gewesen, als wir uns — die 15köpfige Delegation—, in Erwartung der Verhandlung mit Teil- und Anstaltsleiter, von Langmann in einen Unterrichtsraum der JVA schließen ließen.

Schon am Abend des 5.Oktober waren daher die Zeichen gesetzt, daß faktisch nie an der internen Machthierarchie und Organisationsstruktur des Knastes Geldern gedeutelt oder gerüttelt werden würde. Es waren weiterhin die Beamten, die uns einschlossen, aufschlossen, den Takt der elementarsten Bewegungen vorgaben. Klar war doch, und darauf hatten wir alle 15 uns verständigt, der Grundkonsens der Gewaltlosigkeit. Unmißverständlich erklärten wir uns in der Gruppe und auf den Höfen folgende Streikmaßnahmen — ich betone: Streik — durchzuführen: 1. Hungerstreik, 2. Arbeitsniederlegung, 3.Plakataktionen an Außenwänden, 4.„Vollzugslambada“, worunter zu verstehen ist: Sprechchöre, Parolengebrülle, Feuerwerke, Perkussionsorgien mit Gegenständen Zu guter Letzt und nebenbei wurde eine Petition mit 432 Unterschriften an den Bundestag gejagt.

Die Anstaltsleitung hatte versichert, keine der von Gefangenen durchgeführten Streikmaßnahmen, die in zeitlichem und inhaltlichem Zusammenhang zum politischen Anliegen Amnestie stünden, zu bestrafen, solange dieser Zusammenhang nicht durch Unterbrechung der Streikmaßnahme (zwischenzeitliche Wiederaufnahme der Arbeit) hinfällig würde. Genau dieser Vorbehalt sollte sich später als Fallstrick erweisen. Im Sitzungsgewirr fehlte uns die Klarsicht, diesen geschickten Winkelzug zu erkennen.

Überhaupt komme ich nun auf das eigentliche Fiasko der Bewegung zu sprechen. Das 15köpfige Gremium, das eigentlich Speerspitze und Kopf der Bewegung hätte sein müssen, stellte sich sehr bald als handlungsunfähig heraus. Woran lag das? Ein Grund lag in der Zusammensetzung der Gruppe, die mit einem Schlag die unterschiedlichsten Menschen unter einen Hut zu bringen hatte Und eine Gruppe, die in dieser Konstellation noch nie miteinander zu tun gehabt hatte, ist auf „brainstorming“ und flexible Planung angewiesen, weil vorgedachte Pläne, Strategien, Konzepte, eine Gruppenstruktur nicht existieren.

In Gruppenprozessen und kollektiver Entscheidungsfindung völlig unerfahren — wen wundert's, jahrelanger Knast macht's möglich — sumpften die Akteure in stundenlangen zermürbenden Streitgesprächen vor sich hin. Vielleicht wäre es da angebracht gewesen, Langmann oder Nedden (Oberlehrer des Pädagogischen Dienstes in der JVA) erstmal rauszuschmeißen, um für uns Selbstbesinnung und Selbstbestimmung zu leisten.

Fakt ist, daß wir nie Zeit hatten, in uns stabil zu werden Allein die Verständnisschwierigkeiten untereinander, und wachsendes Mißtrauen —letzteres eine bittere Frucht des Psycho-Vollzugs — sorgten für beträchtliche Reibungs- und Energieverluste in der Gruppe. Wenn ein paar labile „Luschen“, die vielleicht davon träumen Hardliner zu sein, außerdem nach einigen „Revolutionstagen“ ihre Scheintriumphe mit aufgesetztem Fusel und Dope feiern, dann ist das auch ein Armutszeugnis ohnegleichen. Die Unstimmigkeit im Ursprungsforum sowie die geringe Belastbarkeit einiger ihrer Mitglieder trugen so dazu bei, dem Anstaltsteam aus eingespielten Krisentheoretikern die Einschätzung der Situation zu erleichtern. Ich bin mir sicher, daß wir in der Hand hatten, wie ernst uns Anstaltsleitung und andere Instanzen als Verhandlungsgegner nahmen Im Gegensatz zu W.F. weiß ich sehr genau, wo uns das Zepter endgültig aus der Hand glitt:

1.Schlüsselszene, Dienstag, 9.Oktober: Besuch von Marie-Luise Morawitz, SPD-Politikerin, im Knast Geldern, die ihre Funktion als Justizkontrollorgan im Landtag Nordrhein-Westfalen mit den Füßen trat, um parteipolitisches Kapital aus der laut 'Bild‘, 11.Oktober 1990, „von ihr niedergeschlagenen Gefangenenrevolte“ zu schlagen. Die Resignation, die sie unter die Gefangenen brachte, als wir, die „Judasfraktion“, mit ihr von Freistundenhof zu Freistundenhof, von Tischtennisplatte zu Tischtennisplatte zogen, war spürbar. Streikbereitschaft wich bei den meisten einer resignierten Verbitterung.

Genau zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort hätte die Initiative wieder vom Forum ausgehen müssen. Aber wo waren die neun oder zehn Hardliner, die in der „Morawitz-Gesprächsrunde“ zuvor in einer Kurzschlußreaktion den Raum verlassen hatten? Wo war ihre Stimme an den Tischtennisplatten, die da wieder hätte zu einem Ruf werden können?. Ich sah sie, die „Hardliner“ und Aussteiger, wie sie orentierungslos und eigenbrötlerisch ihre Runden drehten, anstatt bei der Stange zu bleiben.

Jedenfalls ging an jenem Tag für die legitimen und wirkungsvollen Druckmittel (=Arbeitsstreik) bereits der Ofen aus. Auch wenn am 10.Oktober nochmal 40 die Arbeit verweigerten und zehn im Hungerstreik waren, war versäumt worden, das Streikpotential für die Zukunft zu mobilisieren. Die zweite Oktoberwoche klang normal aus...

2.Schlüsselszene, Montag, 15Oktober: In der Sitzung waren plötzlich alle Hardliner wieder präsent Knallhart zur Debatte stand: Beschluß über Wiederaufnahme der verabschiedeten Streikmaßnahmen, da Amnestieforderung gar nicht, Forderung nach Medientransparenz nur teilweise und unbefriedigend erfüllt worden sei. Jetzt war das Problem: Eine Wiederaufnahme nach Abbruch der Streikmaßnahme hätte laut Anstaltsleiter den Straftatbestand der Meuterei erfüllt — die gelegte Schlinge zog sich zu. Zu spät heulte man dem 9.Oktober nach. Mit der Strafandrohung im Rücken zerstob die Front der harten Linie in alle Winde und ward nicht mehr gesehen. Was übrig blieb: Die „weiche Linie“ widmete sich dem als dritte Priorität nach Amnestie und Medientransparenz herausgestellten Ziel „interne Vollzugsgestaltung“; die „harte Linie“ koppelte sich vollends vom Geschehen ab und begann ihr Kesseltreiben gegen die eigenen Leute. Die „Geldern-Revolution“ fraß so ihr liebstes Kind: die Solidarität.

Ich hatte oft in dieser Schlußphase den Satz gehört: „Bewegungen, die sich institutionalisieren lassen, verlieren ihren Biß!“ in Anspielung auf die zaghafte Strukturbildung im Forum. Aber genau darum geht es doch: Um die Einführung institutionaler Macht im Knast, die sich der Sache der Gefangenen annimmt, auf vollzugsinterner sowie auf politischer Ebene. Diese institutionalisierte Macht muß direkt von den Gefangenen und darf nicht über Dritte ausgeübt werden. Die legale Verankerung einer Insassenvertretung mit einklagbaren Rechten und Ansprüchen wäre ein mittelfristiges Ziel.

Den Grundstein dafür hätte auch das originäre Forum legen können, wenn ihm nicht auf halber Strecke der Atem ausgegangen wäre. Das zähe Spiel am runden Tisch will beherrscht sein, dazu muß man nicht die Basis verloren geben. Wir hätten uns rechtzeitig eine Kommunikationsstruktur sichern und nutzen sollen: Stichwort freier Zugang auf allen Freistundenhöfen, häuserübergreifender Umschluß. Die äußeren, baulichen Voraussetzungen spielen für die Entwicklung einer „Bewegung“ eine wichtige Rolle. Die friedlichen Ost- Revolutionen in Berlin, Leipzig, Dresden vollzogen sich für jedermann hörbar, sichtbar, spürbar auf freien Marktplätzen, Straßen, sozusagen riesigen Volksarenen. Ganz anders der Knast: Jegliche Kommunikation wird durch die Wabenstruktur der Zellen vereitelt.

Diesen Umstand machten sich Teile der Beamtenschaft zunutze, die gezielt und punktuell das Solidarisierungspotential einzuschüchtern, zu verunsichern wußten. Ich weiß, daß wir fast an dieser Problematik verzweifelt sind.

Trotz allem: Die „bengalischen Nächte“ im Oktober waren das Geilste, was anderen und mir als Knasterlebnis zuteil wurde. Desweiteren erfährt die Aktion nach über zwei Monaten einen Epilog, der zuversichtlich stimmt: Am 30.November verlor die Restfraktion des Forums ihre Mandate. (Die von W.F. genannte Integrationsfigur hatte sich schon zuvor mit gekonnter Piruette aus allen Positionen katapultiert). Aus der Neuwahl mit aktiver Stimmbeteiligung von ca. 70 Prozent (317) resultierte ein 24köpfiges Gefangenenparlament.

Allein die zahlenmäßige Repräsentanz dürfte es jeder Anstaltsleitung schwermachen, die Insassenvertretung zu „kaufen“. Je größer das Forum zahlenmäßig ist, desto eher finden diverse Interessenlagen in ihm Niederschlag, um so mehr ist gegenseitige Kontrolle gewährleistet, aber desto stärker wiegen auch die Anforderungen, die effiziente Vertretungsarbeit stellt. O.L., JVA Geldern

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