piwik no script img

Für eine „KSZE“-Konferenz im Nahen Osten

■ Wenn Jordanien, wie Finnland im KSZE-Prozeß in Europa, die Vermittlerrolle übernähme, gäbe es eine Option für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten

Der Widerstand gegen einen Krieg im Nahen Osten nimmt von Tag zu Tag zu, während aber die kriegstreibenden Kräfte, die die Probleme nach Saddamscher Manier lösen wollen, immer noch da sind. Dennoch gibt es sie, die Alternative zum Krieg: Warum nicht eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Nahen Osten, unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, inspiriert durch die erfolgreiche Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die mit der Abschlußakte von Helsinki 1975 den Weg für das Ende des Kalten Krieges ebnete?

Wie ihre europäische Vorgängerin sollte die Konferenz alle Beteiligten einladen, einschließlich der großen Völker der Region, die keinen eigenen Staat haben, wie die Palästinenser und die Kurden, sowie die permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und die UNO. Dabei sollten alle relevanten Themen auf den Tisch. Die Konferenz sollte viel Zeit bekommen, ohne Vorbedingungen ihre Arbeit aufnehmen können — außer der Zusage, in der Frage kriegerischer Auseinandersetzungen ein Stillhalteabkommen zu respektieren. Das UNO-Embargo sollte allerdings nicht aufgehoben werden, solange nicht die Bedingungen für eben seine Aufhebung erfüllt sind.

Wir haben heute die Wahl zwischen einem Krieg am Persischen Golf, der viele Staaten inner- und außerhalb der Nahost-Region miteinbeziehen und enorme Verluste verursachen könnte, und der schwierigen Aufgabe einer Verhandlungslösung durch die gemeinsamen Vermittlungsbemühungen von Regierungen und gesellschaftlichen Organisationen. In einem Krieg kann es nur Verlierer geben. Außerdem würde ein Angriffskrieg, der der irakischen Aggression eine weit größere Aggression entgegensetzt, einen schrecklichen Präzedenzfall schaffen für eine Welt, die sich gerade erfolgreich der Bedrohung durch den Kalten Krieg entledigt hat. Das Problem ist doch, wie eine dauerhafte Lösung des Konflikts aussehen soll.

Der Konflikt im Nahen Osten ist äußerst komplex. Diese Komplexität stellt eine Herausforderung dar für diplomatisches Geschick — auf allen Ebenen. Ebenso verspricht diese Komplexität Lösungen, bei denen alle Parteien — vorausgesetzt, sie sind guten Willens — als Sieger hervorgehen könnten. Denn es gibt viele Möglichkeiten, ein Entgegenkommen auszuhandeln. Jeder Versuch, den Konflikt zu einem singulären Problem herunterzuspielen, wie z.B. die irakische Besetzung Kuwaits, ist nicht nur faktisch unrichtig, sondern auch politisch unvernünftig. Denn ein solcher Versuch beraubt uns der Möglichkeit längerfristiger und dauerhafter Lösungen. Genauer: der irakisch-kuwaitische und der israelisch-palästinensische Konflikt hängen ganz offenkundig eng zusammen — nicht zuletzt durch Saddam Husseins glaubwürdige Drohung mit einem Chemiewaffenangriff auf Israel, der seinerseits Konsequenz der Besetzung palästinensischen Territoriums durch Israel sein soll.

Es gibt einige Beispiele möglicher Vereinbarungen, wenn man sich der Nahost-Problematik in ihrer ganzen Komplexität nähert:

— Kuwait handelt Grenzberichtigungen im Norden des Landes aus.

— Irak tritt in Verhandlungen mit den Kurden in der Souveränitätsfrage und fordert die anderen Staaten in der Region mit einer kurdischen Bevölkerung auf, dasselbe zu tun.

— Israel anerkennt, ermutigt und unterstützt einen palästinensischen Staat, und Palästina anerkennt Israel in vollem Umfang.

— Die Golan-Höhen gehen an Syrien zurück.

— Die arabischen Staaten anerkennen Israel.

— Die UNO organisiert zusammen mit den Mitgliedern der Arabischen Liga eine Friedenssicherungsoperation in der gesamten Region, indem sie UNO-Truppen auf beiden Seiten der betroffenen Grenzen stationiert.

— Alle ausländischen Truppen müssen aus Kuwait, Palästina, Libanon und Saudi-Arabien abgezogen werden.

— Nach dem Beispiel des europäischen Prozesses muß eine Rüstungskontrollpolitik eingeführt werden, mit dem Abbau aller Massenvernichtungswaffen in der Region und der Schaffung vertrauensbildender Maßnahmen — wenn möglich sogar mit Überwachung durch einen UNO- Satelliten.

— Für die gesamte Region muß eine konsistente Wasserpolitik ausgearbeitet und ausgehandelt werden.

— Darüber hinaus eine Ölpolitik unter Schirmherrschaft der UNO, die die erdölimportierenden und -exportierenden Länder in einem permanenten Dialog zusammenbringt.

— Es müssen Verhandlungen initiiert werden, mit dem Ziel der Gründung eines gemeinsamen Nahost- Marktes, unter Einschluß Israels als volles Mitglied.

All diese Fragen sollten nicht nur nacheinander, sondern parallel angegangen werden.

Eben wegen der Kriegsdrohung befinden wir uns heute in einer Situation, in der die Motivation, einen längerfristigen und dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu schaffen, höher ist denn je. Politiker in allen Teilen der Welt sowie in der Region rufen nach einer Verhandlungslösung und verdienen die Unterstützung aller friedliebender Menschen und Regierungen. Und wie uns die europäische Erfahrung lehrt, können die Politiker diese Aufgabe nicht alleine bewältigen. Sie brauchen die Hilfe und Ermutigung aus dem Volk. Wir alle müssen es als unsere Aufgabe betrachten, zum Frieden im Nahen Osten beizutragen. Das schließt gesellschaftliche und religiöse Organisationen mit ein, die in der Lage sind, den so bitter nötigen Dialog zwischen den Religionen zustandezubringen. Zusammen können sie dazu beitragen, die „Zivile Gesellschaft“ zu schaffen, die so unverzichtbar ist wie geschickt ausgehandelte und ratifizierte Verträge.

Wenn Jordanien die so fundamentale Rolle übernehmen würde, die Finnland im europäischen Prozeß gespielt hat — mit König Hussein und Kronprinz Hassan respektive in den Rollen von Präsident Kekkonen und Botschafter Jacobson —, könnte die Welt von der Angst vor einem weiteren Krieg im Nahen Osten befreit werden. Johan Galtung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen