Ost-Wirtschaftskrise spart Strom

■ Stromverbrauch im zweiten Halbjahr 1990 um 25 Prozent gesunken/ Atomkraftwerke im Osten sind überflüssig/ Experten vermuten keinen Wiederanstieg des Stromverbrauchs

Berlin (taz/adn) — Gleich um ein Viertel ist der Strombedarf im zweiten Halbjahr 1990 in den fünf neuen Bundesländern zurückgegangen. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums lag der Verbrauch in Ostdeutschland im Jahr 1990 insgesamt bei 102 TWh und damit 15 Prozent unter dem des Vorjahres.

Maßgeblich zum Rückgang beigetragen hatte im ersten Halbjahr die Stillegung besonders umweltgefährdender Produktionen wie der Karbidöfen in Buna, der Elektrolyse und der Aluminiumproduktion. Nach der Währungsunion hatte die allgemeine Talfahrt der Wirtschaft östlich der Elbe für eine Beschleunigung dieses Trends gesorgt. Abgezeichnet hatte sich der Rückgang schon Ende 1989. Die Abwanderung von DDR-Bürgern in den Westen sparte im Osten Strom. Und Energieexperten rechneten vor, daß allein die Abschaltung der Grenzbeleuchtung 500 MW Kapazität, das ist die Leistung eines der AKWs in Greifswald, einsparte.

Einen schnellen Wiederanstieg des Strombedarfs befürchten Experten heute nicht. Vor allem die Chemieindustrie mit 23 Prozent des Stromverbrauchs werde für hohe Einsparungen sorgen, erklärte Jürgen Pöschk von der Forschungsstelle für Umwelt der Freien Universität Berlin. Der zu erwartende Modernisierungssprung in den überlebensfähigen Bereichen der DDR-Industrie sollte nach Pöschks Meinung weitere Einsparungen möglich machen, jedenfalls aber verhindern, daß der Stromverbrauch in den kommenden Jahren den Stand von 1989 erreicht. „Betreibt man eine aktive Einsparungspolitik, wird man sogar weit darunter liegen“, so Pöschk.

Durch den Rückgang der Stromnachfrage können eine Reihe von Kraftwerken östlich der Elbe stillstehen. Die Abschaltung der Atommeiler in Greifswald und Rheinsberg steckt die Stromversorgung der fünf neuen Bundesländer leicht weg. Im Gegenteil, die DDR-Stromversorgung fährt ihre Kraftwerke mit Reserven, die sie in den vergangenen 40 Jahren nie hatte. Sie kann es sich daher auch leisten, weitere besonders umweltschädliche Kraftwerke abzuschalten.

In den kommenden Jahren muß sich die Stromwirtschaft östlich der Elbe nach Ansicht des Wirtschaftsministeriums vor allem um die Umrüstung der bestehenden Kraftwerke kümmern. Zum ersten sollen die 500 MW-Kohlekraftwerke in Jänschwalde, Hagenwerder und Boxberg mit Umwelttechnik nachgerüstet werden. Dabei geht es um Kosten von mehreren Milliarden Mark. Außerdem sollen Blockheizkraftwerke mit Kraft-Wärme-Koppelung, bei der Strom und Heizungsenergie gleichzeitig erzeugt werden, gebaut werden. Diese energiesparende Kraftwerkstechnologie kann vor allem zur Entlastung der Umwelt in den Ballungsgebieten eingesetzt werden. Die Zukunft der im Bau befindlichen Atomreaktoren in Greifswald und Stendal gilt im Wirtschaftsministerium dagegen als unsicher. Lieber setzt man auf eine existierende Stromleitung von West nach Ost, mit der Atomstrom aus dem Westnetz in die ehemalige DDR geleitet werden könnte. ten