Berlin rangiert vor Bonn

■ Neujahrsempfang beim Bundespräsidenten — Berlin endlich auch protokollarisch vor dem Kaff am Rhein

Bonn/Berlin. Berlin lag gestern in Bonn vorn — zumindest protokollarisch. Auf dem Neujahrsempfang des Bundespräsidenten mußte der Regierungssitz Bonn zum ersten Mal der Hauptstadt Berlin den Vortritt lassen. Damit durfte der Berliner Parlamentspräsident Jürgen Wohlrabe (CDU) diesmal als erster Gast unmittelbar vor dem Bonner Bürgermeister Hans Daniels (CDU) dem Bundespräsidenten die Hand schütteln und Glückwünsche zum neuen Jahr aussprechen.

Daniels, der früher stets den Reigen angeführt hatte, nahm die »Rückstufung« gelassen hin. Dies sei die richtige Reihenfolge, sagte er. Berlin sei als Hauptstadt vorn, und Bonn folge direkt danach und bleibe Regierungssitz. Wohlrabe hatte zum Auftakt des traditionellen Empfanges in der Villa Hammerschmidt auch den Berliner Regierenden Bürgermeister »auf Abruf«, Walter Momper (SPD), vertreten, der aus Termingründen erst später erschien.

Mehr als 170 Hände mußten von Weizsäcker, seine Frau Marianne und Präsidialstaatssekretär Andreas Meyer-Landrut während des mehr als zweistündigen Defilees schütteln. Die Gäste zogen in einer langen Reihe am Präsidentenpaar und dem Staatssekretär vorbei, die sich im Empfangssaal vor einem riesigen französischen Gobelin aus dem 17. Jahrhundert mit exotischen Blumen und Vögeln aufgestellt hatten.

Wie in den früheren Jahren waren wieder fast alle bekannten »Stützen« aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft, Bundeswehr, Kirchen und Kultur vertreten. Eingeladen waren aber auch wieder 42 »einfache« Bürger, die sich mit privaten Initiativen um das Gemeinwohl verdient gemacht haben, etwa durch Arbeit für Behinderte oder Kranke. Erstmals dabei: 14 Bürger aus den neuen Bundesländern, darunter einige »Namenlose«, die am Umbruch in der damaligen DDR oder an der Auflösung der gefürchteten Staatssicherheit mitgewirkt haben. Wolfgang Burkert, Bürgermeister von Nebra in Sachsen-Anhalt, und seine Frau Renate waren glücklich: »Es ist eine große Ehre für uns, daß wir heute hier sein dürfen.«

Viele trugen dem Bundespräsidenten Anregungen oder Sorgen vor. »Alles wird aufgearbeitet«, versicherte von Weizsäcker später. Was er hier lerne, gehe über die Briefe hinaus, die er erhalte. dpa