Auskunft am Ende: Telefoninsel Berlin

■ Die Telefonauskunft ist überlastet, Berlin von der telefonischen Außenwelt abgeschnitten

Berlin. Das waren noch Zeiten, als das einzige Problem beim Telefonieren darin bestand, daß man nach Ost- Berlin nicht durchkam. Damals wählte man zwar meist vergeblich die 0372, aber man hatte zumindest die begründete Hoffnung, auf dem richtigen Weg zu sein. Inzwischen ist selbst diese Hoffnung im Gestrüpp der überlasteten Telefondrähte verlorengegangen. Jetzt gibt es zwar mehr Leitungen, aber dafür keine Nummern mehr. Wer vor Wochen oder Monaten noch nicht wußte, daß er einmal die Firma X in Detmold würde anrufen müssen, das Reisebüro Y in Frankfurt oder das Ministerium Z in Potsdam, sitzt heute hilflos vor der Wählscheibe.

Wer sein Telefonbüchlein verlegt hat, kramt verzweifelt im Gedächtnis, doch wenn die kleinen grauen Zellen nicht wollen, ist keine Rettung mehr zu erwarten — die Telefonauskunft, einziger Gralshüter über Millionen von Fernsprechnummern, ist unerreichbar. Auch nach stundenlangen Versuchen an Wählscheibe und Telefontastatur spuckt die gewohnte 1188 nur Besetztzeichen aus. Schließlich ein neuer Ton in der Muschel — erwartungsvolles Lauschen, dann die Ernüchterung: »Bitte rufen sie in einigen Minuten erneut an«, befiehlt eine weibliche Stimme vom Endlosband, denn »der von Ihnen gewünschte Fernsprechdienst ist kurzzeitig nicht erreichbar.« Wer bisher nicht wußte, was »kurzzeitig« ist, er wird es nach verzweifelten Anwählversuchen begreifen. Kurzzeitig ist — zumindest in der Logik der Post — die Zeitspanne zwischen 30 Minuten und drei Stunden. Verzweifelte Anrufe beim zuständigen Postunternehmen Telekom spenden — abgesehen von der Tatsache, daß man nun endlich eine menschliche Stimme am Apparat hat — nur wenig Trost. Seit Öffnung der Grenzen ist die Fernsprechauskunft eben total überlastet. Denn nun klingeln auch die Ostler hemmungslos in alle Richtungen und brauchen dafür natürlich auch Nummern.

Die Zahl der Anfragen ist um rund 40 Prozent auf 30.000 pro Tag gestiegen. Zuviel für die 400 MitarbeiterInnen, die rund um die Uhr nach Nummern suchen. Erst im März werden zusätzlich zu den derzeit 80 Auskunftsplätzen 15 neue eingerichtet. Aber die werden, so tröstet die Post, bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Spürbare Entlastung soll erst die Einrichtung einer zweiten und dritten Telefonauskunft im Ostteil der Stadt bringen, meint man bei Telekom, und das wird frühestens 1993 (!) sein. Bis dahin darf man sich an der »kurzzeitig nicht erreichbaren« Auskunft die Finger wund wählen. Die Post rät derweil: ins Telefonbuch gucken! Wer das Bedürfnis oder die dringende Notwendigkeit verspürt, einen Teilnehmer in Castrop-Rauxel oder Eberswalde, Stuttgart oder Wenningstedt zu erreichen, sollte daher schon jetzt mit dem Kauf von Bücherregalen beginnen. Aus dem kommunikativen Inseldasein, dem heillosen Abgeschnittensein von telefonischen Kontakten rettet nur noch eines: eine meterlange Bücherwand mit den bald sicher teuer gehandelten gelben Bänden der Republik. Vera Gaserow