Bankschalter und Fastfood statt Jugendclub?

■ Die Jugendarbeit in Prenzlauer Berg und Friedrichshain ist gefährdet/ Weder die Finanzierung noch der Verbleib der Clubs in den entsprechenden Objekten ist gesichert/ Jugendliche von »Atelier 89« schrieben an von Weizsäcker, auch die Ausländerbeauftragte setzt sich für den Club ein

Prenzlauer Berg. Der Herr von der Automatenfirma ist zufrieden. 165 Mark aus dem Kondomautomaten auf der Herrentoilette, 64 Mark bei den Damen. Die Probephase ist überstanden, die Automaten dürfen in den Toiletten des Jugendclubs »Atelier 89« erst einmal hängen bleiben. Von solch marktwirtschaftlichen Überlegungen völlig unberührt, hat unterdessen eine Musikband mit den Proben für ihren nächsten Auftritt begonnen. »Zahlen müssen die nichts«, sagt Josh Klemkow, »dafür treten sie irgendwann mal umsonst bei uns auf.« Josh Klemkow ist Leiter im Jugendclub Atelier 89 im Bezirk und zerbricht sich im Moment weniger den Kopf über Kondomautomaten oder Bandauftritte, sondern über die Zukunft seines Ladens. Denn gesichert ist weder die langfristige Finanzierung noch der Verbleib in der zweiten Etage des »Dienstleistungsobjektes« in der Greifswalder Straße 89.

Die ersten Gerüchte über eine drohende Schließung tauchten bereits im Sommer letzten Jahres auf. Der VEB Dienstleistungsbetriebe, dem der schmucklose Betonquader vom Übervater Staat in Rechtsträgerschaft übergeben worden war, machte sich nicht nur Gedanken um seine eigene Zukunft, sondern auch um die des Gebäudes in der Greifswalder Straße. Aus dem VEB wurde eine GmbH, die sich nun über Sanierungskonzepte und neue Dienstleistungen den Kopf zerbrach. Noch finden die Prenzelberger ihre alte Rewatex-Wäscherei, die Post und den Zeitungsladen und eben das Atelier 89 vor.

Man habe zwecks Sanierung Kontakt »mit einem namhaften westdeutschen Bauunternehmen« aufgenommen, ließ die Dienstleistungs-GmbH am 12. Juni 90 die Stadtbezirksverwaltung wissen, aber der Jugendclub solle keinesfalls geschlossen werden. »Aber wir haben schon Pläne gesehen«, sagt die stellvertretende Jugendclubleiterin Dagmar Klaue, »da ist aus unserer Etage plötzlich eine Bank und eine Pizzeria geworden.« Die Bezirksverwaltung Prenzlauer Berg, allen voran Jugendstadtrat Siegfried Zoels und der Amtsleiter für Jugendförderung, Gerd Jäger, unterstützen »ihre« fünf Jugendclubs nach Kräften, aber was aus dem Dienstleistungsquader samt dazugehörigem Grundstück in der Greifswalder Straße 89 wird, darüber kann auch Jäger »keine sachkompetente Auskunft« geben. Sicher ist nur eines: »Der Senat kürzt die Gelder.«

In Friedrichshain hat die Jugendverwaltung von der Abteilung Kultur und Bildung acht Jugendclubs übernommen. Die Unterbringung der Clubs in Wohnhäusern und kommunalen Gebäuden scheint vorerst gesichert. Für neue, zusätzliche eigene Räume denkt man dort an Kindergärten, denn es wird damit gerechnet, daß 90 Prozent der Frauen nicht mehr arbeiten gehen werden.

Im Atelier 89 sammelt man inzwischen Unterschriften und UnterstützerInnen. Den Aufruf zum Erhalt des Clubs haben vorsorglich auch Bundespräsident, Jugendministerium, Senat und die Treuhandgesellschaft erhalten. Man will nicht bitten oder betteln, sondern selbstbewußt mit eigenen Pfunden wuchern. Hier haben Gysi und Thierse ihr erstes Streitgespräch geführt, hier wird sich Wissenschaftssenatorin Riedmüller mit StudentInnen der Humboldt-Uni streiten, hier finden Jazz- und Rockkonzerte statt, hier können Musikgruppen üben, Jugendliche Sprachkurse besuchen oder sich ihren Vereinigungsfrust von der Seele reden. Der wächst, was sich schon allein an den Eintrittseinnahmen absehen läßt. Rund 60 Prozent aller Veranstaltungsbesucher — und das sind an einem Wochenende immerhin 600 — nehmen mittlerweile die 50prozentige Ermäßigung für Studenten und Arbeitslose in Anspruch. Auch die Ostberliner Ausländerbeauftragte Kahane will das Atelier 89 unangetastet wissen, schließlich gehören Veranstaltungen mit Dritte-Welt-Gruppen, Beratung von AusländerInnen und Konzerte mit ausländischen Gruppen zum Konzept.

Alternativen, sollte das Atelier 89 geschlossen werden, gibt es kaum. In die »MZG«, die nahegelegene Mehrzweckgaststätte mit Disko, da gehen die »Schickis«, sagt Josh. Die Gaststätte »Zur Mühle« auf der anderen Straßenseite ist fester Treffpunkt von eher rechts orientierten Jugendlichen. Bislang hat man sich in Ruhe gelassen, sich allenfalls von Fenster zu Fenster mißtrauisch beäugt. Die Gegensätze werden vorerst noch mit dem Edding im Wartehäuschen an der Trambahnhaltestelle ausgetragen. »Nazis aller Länder, vergast Euch« steht neben »Warum Wale töten, es gibt doch Neger«.

Bei solchen Graffitikriegen wird es nicht bleiben, glaubt Josh, dazu ist die Situation der Jugendlichen zu prekär. Und das, was fünf Jugendclubs in einem Stadtteil entgegensetzen können, letztlich zuwenig. Von vieren ganz zu schweigen. Genau das ist Josh Klemkows Horrorvision: daß eines Tages zwei freundliche Herren mit Schlips und Aktenköfferchen auftauchen, die Clubräume mustern und laut überlegen, in welcher Ecke demnächst der Bankschalter stehen wird. Andrea Böhm