Vereint marschieren, getrennt abstimmen

■ Alternative Liste und Bündnis 90 präsentieren Fraktionsvereinbarung/ Neuer Fraktionsvorstand gewählt: zwei Ostler und zwei Westler/ Unterschiedliches Abstimmungsverhalten wurde garantiert

Berlin. Zwei Tage gingen sie in Klausur, dann war es vollbracht: Die Gruppierungen vom Bündnis 90 aus dem Ostteil der Stadt — mit Ausnahme des Neuen Forums — und die Alternative Liste aus dem Westteil unterzeichneten gestern eine Fraktionsvereinbarung, die Arbeitsgrundlage für die kommende Legislaturperiode. Die neue Abgeordnetenhausfraktion ist damit die erste im gesamtdeutschen Staat, in der Grüne West und Bürgerrechtler Ost faktisch zusammenarbeiten.

In der Vereinbarung wird die Zusammenarbeit der insgesamt 19 Parlamentarier und auch das Abstimmungsverhalten akribisch geregelt. Auf der Sitzung wurde ein neuer Fraktionsvorstand gewählt, der jetzt wegen der schwierigen Ost-West- Balance erstmals aus zwei Personen besteht. Wiedergewählt wurde die bisherige AL-Fraktionschefin Renate Künast. Gleichberechtigt wird ihr künftig Uwe Lehmann (Initiative Frieden und Menschenrechte) zur Seite stehen, als StellvertreterInnen wurden der Rechtsanwalt Wolfgang Wieland (AL) und Sibyll Klotz (UFV, die aber auf der AL-Liste ins Parlament kam) gewählt.

In der Fraktionsvereinbarung ist festgelegt, daß beide Partner »autonom« nebeneinander bestehen und in Plenarsitzungen nicht gemeinsam abgestimmt werden muß. In bestimmten Fällen soll innerhalb der Fraktion sogar nach Ostlern und Westlern unterschieden werden: »Entscheidungen, die einen nur für die Ostbezirke Berlins relevanten Sachverhalt bzw. die DDR-Vergangenheit betreffen, muß die Mehrheit der vertretenen Ex-Ossis zustimmen. Gleiches gilt im umgekehrten Fall für die Ex-Wessis.« Dieser Passus, der vor allem auf Betreiben des Neuen Forums (NF) aufgenommen wurde, wurde trotz des Alleingangs der vier NF-Abgeordneten mit aufgenommen. Das solle selbstverständlich nicht dazu führen, daß die Mauer erneut errichtet werde, versicherten die neuen Vorständler auf Nachfrage. Aber schließlich gebe es noch eine »soziale Mauer« zwischen Ost und West, so Sibyll Klotz, und die werde auch noch weiter bestehen. Für die abtrünnigen NF-Abgeordneten soll die Fraktion jederzeit noch zur Aufnahme offen bleiben.

Inhaltlich hat sich die neue Fraktion, die auf der konstituierenden Sitzung des Abgeordnetenhauses am Freitag noch formell bestätigt werden muß, erst einmal eine Frist bis Ostern gesetzt. So wird ein Untersuchungsausschuß gefordert, der sämtliche Mitglieder des neuen Abgeordnetenhauses auf eine Stasi-Vergangenheit beziehungsweise auf Mitarbeit bei westlichen Nachrichtendiensten überprüfen soll. Auf der konstituierenden Sitzung will die neue Fraktion einen Antrag einbringen, der vorsieht, daß die reformierte Westberliner Verfassung nicht nur auf ganz Berlin erstreckt wird, sondern auch durch eine verfassungsberatende Versammlung überarbeitet wird. kd