Crash as crash can

„Der 7. Sinn“, Deutschlands beliebtestes Action-Special wird 25 Jahre alt  ■ Aus Köln Reinhard Lüke

Quizfrage: Wie heißt die Sendung der ARD, die regelmäßig überdurchschnittliche Einschaltquoten hat, obwohl sie kaum jemand einschaltet? Sie wissen es nicht? Zusatzfrage: Schon einmal etwas von Kenny Clarke und France Boland gehört? Auch nicht? Dann müssen Sie zu jener Randgruppe gehören, die während der letzten 25 Jahre den Reizen des ARD-Programms so gut wie nie erlegen ist.

Die Bigband jener beiden Musiker ist nämlich für die fetzigen Trompetenstöße und Trommelwirbel verantwortlich, die rhythmisch synchron zum wechselnden Licht einer Verkehrsampel jeden Donnerstag um 21 Uhr die Nation aus der ersten Reihe aufschrecken lassen. It's crashtime again! Der 7. Sinn, die öffentlich-rechtliche „Fahrschule der Nation“, unternimmt wieder einmal den (aussichtslosen) Versuch, die VerkehrsteilnehmerInnen zu mehr Verantwortungsbewußtsein zu animieren. Und das am heutigen Abend zum tausendsten Mal!

Der Dauerbrenner wurde im Laufe der Jahre innerhalb des Programms zwar mehrfach hin und hergeschoben und 1982 gar von fünf auf drei Minuten gekürzt, doch an der Konzeption dieser Koproduktion von WDR und der Deutschen Verkehrswacht hat sich seit einem Vierteljahrhundert so gut wie nichts geändert. In alltäglichen Verkehrssituationen wird uns nach dem Prinzip der Vorhersehbarkeit das Eintreten des Unvorhersehbaren prophezeit. Ob da nun unvermittelt ein Hirsch über die Straße schießt oder ein schlecht beleuchteter Panzer ländlichen DiskoheimkehrerInnen den Manta ramponiert, der spektakuläre Crash ist (fast) immer garantiert. Für die Zuschauer ein Nervenkitzel ohne Reue. Wo das Spektakel im Dienst der guten Sache steht, wird genaues Hinschauen schließlich zur BürgerInnenpflicht.

Darüber hinaus weiß man beim 7. Sinn bei allem Bemühen um wirklichkeitsnahe Darstellung auch um die Grenzen des guten Geschmacks. Die Unfallopfer machen zwar bisweilen einen recht leblosen Eindruck, aber auf Blut, abgerissene Körperteile oder ähnlich Unappetitliches wartet der Splatter-Fan vergebens.

Zu den unveränderlichen Kennzeichen des Magazins gehört aber zweifelsohne auch die markante Stimme jenes Egon Hoegen, der mit seiner Ankündigung des Internationalen Frühschoppens („mit fünf Journalisten aus sechs Länder und Werner Höfer als Gastgeber...“) auch jahrzehntelang dafür sorgte, daß auf deutschen Tellern regelmäßig der Sonntagsbraten kalt wurde. Nachdem der Frühschoppen ein unrühmliches Ende fand und Robert Lembke von uns gegangen ist, ist der 7. Sinn so ziemlich das letzte Fossil, das uns aus den Kindertagen der ARD erhalten geblieben ist.

Ob die aufklärerischen Ambitionen der Verantwortlichen tiefgreifende Wirkungen gezeitigt haben, dürfte freilich kaum nachzuprüfen sein. Die Beliebtheit der Sendung scheint indes ungebrochen. Aber der 7. Sinn lebt natürlich von den Sendungen „davor“ und „danach“. Ob die ZuschauerInnen während dieser drei Minuten interessiert verfolgen, welche Gefahrenherde unsere Straßen bergen oder die kurze Unterbrechung wie Das Wort zum Sonntag schlicht zu einer Pinkelpause oder zum Bierholen nutzen, wird sich kaum ermitteln lassen. Wie auch immer, die Verdienste des Magazins sind unbestritten.

Die Sendung bewies nicht nur bei der Erfindung des kurzen TV-Spots avantgardistische Kompetenz, sondern entwickelte sich auch zum Exportschlager. Bis in die siebziger Jahre leistete man in vielen Ländern Afrikas und Südamerikas kostenlose Entwicklungshilfe in Sachen Verkehrssicherheit. (Wobei sich hartnäckig das Gerücht hält, daß die Länder längs des Äquators vor allem an Sendungen über Sicherheitsprobleme auf verschneiten Alpenpässen interessiert waren). Auch auch seitdem die Spots nur noch gegen Bares zu haben sind, hat das Interesse kaum nachgelassen. Das Stirnrunzeln, das der 7. Sinn im Land des neuesten Abnehmers, Papua Neuguinea (ein Land mit Linksverkehr!) auslösen dürfte, läßt sich nur erahnen.

Zum Jubiläum hat die Redaktion auch an die Kleinen gedacht. Kinder sollen ihr gefährlichstes Verkehrserlebnis zeichnen und an den WDR schicken. Sollte es irgendeinem Intendanten hierzulande in grober Verkennung der Zuschauerinteressen doch irgendwann einfallen, den 7. Sinn aus dem Programm zu kippen, die Crew (inklusive Stuntmen) bräuchte sich um eine neue Anstellung kaum Sorgen zu machen. Rund 1.100 Autos ohne nennenswerte Schäden für die beteiligten Personen zur Strecke gebracht zu haben, dürfte auch in Hollywood eine konkurrenzlose Referenz für professionelles Arbeiten sein.