Hymne auf die Couch

■ Von wegen Emanzipation: Das alte Hollywood-Starsystem mit seiner „Casting Couch“ sei für die Schauspielerinnen allemal besser gewesen als der regieführende Ehemann — so Julie Burchill in 'The Face‘

In einer der jüngsten Ausgaben der englischen Zeitschrift 'The Face‘ (27/90) singt Julie Burchill eine Hymne auf die „Casting Couch“, die Couch also, auf der die jungen, unbekannten Starlets den Produzenten oder Regisseuren zu Diensten waren, um einen Zeitvertrag zu ergattern. Die Casting Couch der siebziger Jahre, so die Autorin, sei in den Zeiten von Safe Sex durch das Ehebett ersetzt worden. Ihre überraschende These: Im Vergleich zum Ehebett sei die Couch bei weitem vorzuziehen; Marilyn Monroe sei es vergleichsweise besser gegangen als Frauen wie Mia Farrow, Jessica Lange oder Theresa Russell, den Lebensgefährtinnen von Woody Allen, Sam Shepard und Nicholas Roeg. Weit entfernt davon, das alte Hollywood — „wo die Frauen alle schön waren und die Männer alle reich“ — verklären zu wollen, hält Burchill nichts vom Gerede über die Emanzipation des weiblichen Geschlechts auf der Leinwand.

Für ihren Pessimismus hat sie triftige Argumente. 1. „Das Gute an der Casting Couch war, daß letztlich das Publikum entschied. Das Starlet mag als kleiner Fisch im Werk irgendeines Starregisseurs begonnen haben, bläßlich und sich windend, aber wenn es ihr gelang, den Mann im Parkett in sich verliebt zu machen, konnte sie den Spieß umdrehen und dafür sorgen, daß die Filmmogule sich nach ihr rissen. Man mußte sich zwar hinlegen (und eine Weile an den Oscar denken), aber wenn man gut war, konnte man eines Tages von der Couch aufstehen und sie für immer verlassen, ohne sich auch nur einmal nach ihr umzusehen. Als Marilyn Monroe ihren ersten großen Vertrag unterschrieb, soll sie gesagt haben: „Das war der letzte Schwanz, den ich je gelutscht habe.“ Aber was passiert, wenn Jessica Lange nicht mehr mit Sam Shepard schläft? Wird sie eine Million Fans haben, die ihr ein sicheres Netz für ihre Karriere ausspannen, so daß sie nur tief durchatmen und springen muß?“

Daß die Diven von heute sich neben Frauen wie Barbara Stanwyck oder Ava Gardner so kläglich ausnehmen, liege daran, „daß nicht das Publikum sie erwählt hat. Sie existieren einzig und allein durch die Gunst des Wohltäters, der Nacht für Nacht neben ihnen schnarcht.“

2. Das Ehebett befördert das Parasitentum und die Unselbständigkeit der Frauen. „Solche Beziehungen entmündigen die Schauspielerinnen. Und noch wichtiger: Sie verhindern das Hochkommen neuer Stars.“

3. Die schlimmste Folge des Zusammenbruchs der Casting Couch und der Etablierung der gemeinsamen Schlafstatt von Regisseur und Star sieht Joan Burchill jedoch darin, daß „kein Mann aller Welt die Mutter seiner Kinder als Zicke und Spielverderberin präsentieren will“. Dabei sei eine interessante, starke Frau im Film in der Regel eben eine Zicke und Spielverderberin. Es sei kein Zufall, daß alle starken, interessanten Frauenrollen in amerikanischen Filmen zur Zeit an Kathleen Turner, Ellen Barkin und Glenn Close gingen; „einige der wenigen Frauen, die keine Meister-Muse-Beziehung führen“. „Man unterschätze nie, für wie real ein Regisseur seinen Film hält; in Wahrheit ist er es, und nicht der Zuschauer, der Realität und Fiktion nicht voneinander unterscheiden kann. Deshalb zeigen die Regisseure ihre Frauen auf der Leinwand in Situationen, die sie auch im Leben akzeptabel finden: in Gefahr, aber zu Hause, die Kinder versorgend, die Farm verteidigend; niemals jedoch an der Spitze.“

Die schärfste Attacke führt Julie Burchill gegen das Gerede vom Kino der Frauen. „Sicher, es gibt mehr Rollen für Schauspielerinnen als vor sechs Jahren. Aber was für Rollen! Als Mütter, Ehefrauen, Friseusen, Karikaturen oder Opfer, sei es von Mickey Rourkes hartem Zugriff oder der Reagan-Ära.“ Noch schlimmer sei es, daß die Filme, in denen Frauen arbeiteten oder Karriere machten, sie ausschließlich als Psycho-Wracks zeigen, als manisch- depressiv oder zumindest vereinsamt wie etwa Jane Craig in Broadcast News. „Die Botschaft ist klar: Karriere macht unglücklich. Eine erstaunliche Neuigkeit für die Ärzte, die nicht etwa verwirrten Karrierefrauen, sondern frustrierten Hausfrauen jährlich Millionen von Antidepressiva verschreiben. Interessanterweise leiden die ebenso gestreßten Karrieremänner keineswegs unter allabendlicher Einsamkeit; auch die Filmstars der 30er und 40er Jahre hatten dieses Problem nicht: Sie waren einfach zu beschäftigt, um neben ihrer Karriere noch Zeit zu haben, sich jedesmal, wenn es hart wurde, in ein Nervenbündel zu verwandeln.“

„Moderne Filmheldinnen dürfen nur dann selber hart sein, wenn am Ende enthüllt werden kann, daß sie in ihrem tiefsten Innern weich sind.“ Nach dem Motto: „Untendrunter sind sie alle liebenswert. Man muß sie nur im Geiste ausziehen... Im heutigen Kino haben Frauen mehr Macht, aber auch mehr Probleme, sie haben mehr Möglichkeiten, aber damit auch mehr Chancen, Fehler zu machen. Jeder Sieg muß durch Leid bezahlt werden.“

Burchill spricht sogar vom weiblichen Eunuchen. Wenn das Kino der Frauen davon handelte, wie Frauen von Haus und Hof wegkommen, dann gehe es im Eunuchenkino darum, wie sie wieder dorthin zurückkommen. Das Kino der Frauen sei längst abgelöst durch „Filme mit, über und für kastrierte Frauen“. Es sei gar nicht wahr, daß das neue Hollywood sich gegen den Reaganismus stark gemacht habe, im Gegenteil: Nicht das Konservative an Reagan habe es bekämpft, sondern das Moderne. „Er glaubte an Pestizide, hielt nichts von ländlichen Großfamilien und war überzeugt davon, daß ein geschiedener Mann Präsident werden kann. In Hollywood glaubt man an Mami und den naturbelassenen Apfel. In Sachen Konservativismus hat Hollywood Washington längst überrundet.“

Charakteristisch für die heutigen Schauspielerinnen sei adrette Selbstzufriedenheit. „Ich kann mir nicht helfen: Vergleicht man Berufsmütter wie Jessica Lange oder Meryl Streep mit den von Selbstzweifeln geplagten Stars des alten Hollywood von Louise Brooks bis Marilyn Monroe, erscheint die Handlungsweise der ersteren wie verlogener Blödsinn.“

„Früher hatten die Leute Sex, heute haben sie Kinder. Im Kino galt früher das Kinderkriegen als der schreckliche Preis für den Sex, heute gilt Sex als der schreckliche Preis fürs Kinderkriegen.“ Burchills Resümee: „Zwar war die Casting Couch eine Art Prostitution, und Prostitution ist ein häßliches Geschäft. Aber es ist besser sowohl für deine Seele als auch für dein Konto, wenn du zweimal mit einem Mann schläfst, den du verachtest, und etwas dafür bekommst, als es zwanzigmal umsonst zu machen. Es wäre naiv zu glauben, daß Frauen im Massagesalon brutaler behandelt werden als im Ehebett. Heutzutage wird Schauspielerinnen weniger Bewunderung und Respekt entgegengebracht als zu Zeiten der Casting Couch, schon allein, weil die Sache damals zwangsläufig diskreter abging. Wenn früher ein Starlet die Gunst des Publikums gewonnen hatte, bekam sie das Beste von allem: Projekte, Autoren, Drehbücher, Regisseure, Rollen, Partner. Heute muß die Frau das Ego irgendeines besoffenen Hippies betütern, der sich für einen unwiderstehlichen Alleskönner hält; und wenn er auf die Nase fällt, muß sie auch noch zu ihm halten.“

„Von der Couch erhob sich eine Galerie von unsterblichen Göttinnen wie Venus aus der Muschel. Vom Familienfuton erhob sich eine Reihe von jobbenden Schauspielerinnen. Komm zurück, Casting Couch — und alles sei vergeben.“

Übersetzung: chp

Die Autorin ist britische Starjournalistin; berühmt wurde sie im Zusammenhang mit den Sex Pistols; sie hat unter anderem den John- Lennon-Mythos dekonstruiert. Eine Sammlung ihrer Reportagen und Essays, Julie Burchill über , ist 1987 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.