„Maßvolles Urteil“ für Lotze gefordert

■ In München begann der Prozeß gegen den ersten RAF-Aussteiger aus der DDR/ Der Angeklagte berichtet vom „zielstrebigen Weg in die RAF“ und über „feierliche“ DDR-Einbürgerung

München (taz) — Ganz ohne Staatsschutzambiente soll es offenbar auch in den Prozessen gegen die RAF- Aussteiger aus der DDR nicht abgehen: Zum Auftakt des Pilotverfahrens gegen Werner Lotze vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht in München mußten sich die etwa 50 BesucherInnen und Journalisten gestern ein größeres Polizeiaufgebot, Leibesvisitationen und die Ablichtung sämtlicher Ausweise gefallen lassen. Werner Lotze, der zwischen Sommer 1978 und Herbst 1979 Mitglied der Rote Armee Fraktion war, muß sich vor dem 3. Senat des Gerichts unter dem Vorsitzenden Richter Ermin Prießmann des Polizistenmordes und mehrfachen Mordversuches verantworten ( vgl.taz von gestern).

Lotze hielt am Mittwoch wie erwartet an seiner kompromißlosen Aussagebereitschaft fest. In einer zu Beginn verteilten Erklärung rechtfertigte Verteidiger Dieter Hoffmann die Prozeßstrategie seines Mandanten im Zusammenhang mit dem Kronzeugengesetz. Ziel sei es, „in Zukunft den sinnlosen Tod von Menschen zu verhindern, wie er im Zusammenhang mit der RAF zahlreiche Male gestorben worden“ sei. Lotze wolle dazu beitragen, daß dieses Ziel erreicht werde. An das Gericht appellierte Hoffmann „durch ein maßvolles Urteil Zeichen für die zu setzen, die sich noch aus dem terroristischen Umfeld lösen können und lösen sollen“.

Am Vormittag erläuterte Lotz seinen Weg in die RAF. Der sei vor allem eines gewesen: „Zielstrebig“. Schon als der 21jährige sich während eines England-Aufenthaltes im Jahr 1973 nach den anarchistischen Klassikern Kropotkin und Bakunin dem Studium von Marx und Lenin zuwandte, war klar, daß für ihn nur der kompromißlose Kampf der RAF als Mittel gegen den Staat Bundesrepublik in Frage kam. Nach der Rückkehr führte Lotzes Weg über die KPD, Antifa-Gruppen und die Besuchszellen der führenden RAF-Gefangenen Ensslin, Baader und Raspe auf geradem Weg in die Illegalität. Nach mehreren Treffen mit im Untergrund lebenden RAF-Mitgliedern verteilte Lotze im August 1978 Hab und Gut an Bekannte, verbrannte persönliche Dinge und Papiere auf einem Feld und verschwand in einer von ihm selbst zuvor angemieteten konspirativen Wohnung: der Einstieg in die RAF.

Der Ausstieg kam im Spätsommer 1979 nach dem Anschlag auf den damaligen Nato-Oberbefehlshaber in Europa, Alexander Haig. Besiegelt wurde er mit der Abgabe der Waffe. Gemeinsam mit anderen Aussteigern lebte Lotze etwa ein Jahr lang in Wartestellung in der Bretagne. Dann hatten aktive RAF-Kader den Weg in die DDR freigemacht. Dort büffelten Lotze und seine Lebensgefährtin zwei Wochen lang ihre von Stasi- Helfern vorbereitete Legende. Danach, so Lotze, „wurde uns in feierlichem Rahmen die Staatsbürgerurkunde der DDR überreicht“. Beim Essen hielt Stasi-Offizier „Günther“ eine Tischrede. In einem „Akt der Solidarität“ hätte die DDR die Neubürger aufgenommen, weil den Arbeiter- und Bauernstaat und die RAF das Ziel des „Antiimperialismus“ verbinde. Allerdings, mahnte „Günther“: Die Mittel, die die RAF gewählt habe, seien von Übel. Gerd Rosenkranz