Golfdiplomatie in Genf
: Statt fünf Minuten ein ganzer Tag

■ Die meisten der gut 800 angereisten Journalisten hatten sich auf einen der kürzesten Termine in der Geschichte der internationalen Diplomatie eingerichtet. Es wurde ein ganzer Tag daraus — allein das gilt schon als mittlere Sensation.

Als James Baker und Terek Asis den Konfernenzraum im Genfer Hotel „Intercontinental“ gestern nach vierzig Minuten noch nicht verlassen hatten und bis dahin auch keine lauten Töne aus dem Sitzungszimmer gedrungen waren, wertete die US-Fernsehgesellschaft CNN dieses bereits als „Überraschung“. Die meisten der rund 800 Journalisten aus aller Welt, die zur Beobachtung der möglicherweise für Krieg oder Frieden am Golf vorentscheidenden Begegnung in die UNO- Stadt gereist waren, hatten sich auf einen der kürzesten Termine in der Geschichte der internationalen Diplomatie eingestellt. Zur Wiederholung der sattsam bekannten öffentlichen Positionen Washingtons und Bagdads, so die weitverbreitete Einschätzung, würden jeweils fünf Minuten reichen.

Auch der angekündigte Austausch von Briefen an die Präsidenten George Bush und Saddam Hussein lasse sich schnell abwickeln. Ein Einlenken in der Sache würden die Iraker frühestens am Abend des 14. Januar signalisieren, und schon gar nicht anläßlich einer Begegnung mit einem Vertreter der US-Regierung.

Als das Gespräch nach immerhin zwei Stunden und siebzehn Minuten lediglich für eine Stunde unter- und nicht abgebrochen wurde, galt dies im Genfer Tagungshotel bereits als kleine Sensation und war Anlaß für hoffnungsvolle Spekulationen, zwischen Asis und Baker habe es zumindest einige Bewegung gegeben. Beim Verlassen des Konferenzzimmers enthielten sich die beiden Außenminister jeglichen Kommentars über den Gesprächsverlauf. Bekannt wurde nur, daß die Amerikaner den Irakern Satellitenphotos vorlegten, die die Stärke und Überlegenheit der am Golf gegen Irak verbündeten Streitkräfte deutlich machen sollten. Auf die Frage ob auch neue Vorschläge auf den Tisch kamen, antwortete Terek Asis lediglich, dies sollten die Journalisten nach Beendigung des Genfer Treffens selber beurteilen. Doch die Tatsache, daß die beiden Außenminister in ihren in verschiedenen Stockwerken des „Intercontinental“ gelegenen Suiten nicht nur zu Mittag aßen, sondern auch mit ihren Präsidenten telefonierten ließ darauf schließen, daß sie sich in den ersten 140 Minutern ihrer Begegnung nicht nur Altbekanntes zu sagen hatten. Nach der viertelstündigen Unterredung zwischen Bush und Baker verlautete aus dem Weißen Haus, die Gespräche seien bis dahin „substantiell“ verlaufen.

Nach einer guten Stunde wurden die Gespräche am frühen Nachmittag wiederaufgenommen. Die zunächst für 15 Uhr anberaumten Pressekonferenzen wurden auf einen unbestimmten späteren Zeitpunkt verlegt. Gleichzeitig wurde bekannte, daß der „Außenminister“ der PLO, Khadoumi, sich in Genf aufhalte und möglicherweise später mit Asis zusammentreffen werde. Auf dem Weg nach Genf befand sich am Nachmittag außerdem der algerische Außenminister Ahmed Gotzani.

Begonnen hatte das erste Treffen seit der irakischen Invasion in Kuwait am 2. August letzten Jahres zwischen Regierungsvertretrern aus Washington und Bagdad recht frostig. Pünktlich zwei Minuten vor elf betraten die beiden Außenminister mit ihren jeweils achtköpfigen Delegationen den Raum. Mit Rücksicht auf die Gäste aus Bagdad hatte die Hotelleitung am Dienstag noch schnell das Namensschild „Persischer Saal“ abgeschraubt und durch „Schweizer Saal“ ersetzt. Die sechszehn Männer und zwei Frauen (Bakers Sprecherin Margaret Tutwiler und das Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates Sandra Charles) nahmen zunächst ohne jede Begrüßung Platz — Baker mit versteinertem Gesicht, Asis mit einem eher verlegen wirkenden leichten Lächeln. Erst auf mehrfache Aufforderung der Kamerateams, die zu Beginn für wenige Minuten filmen durften, reichten sich die beiden Außenminister über den Tisch hinweg die Hände ohne einander anzuschauen. Die amerikanische Delegation bestand aus hohen Vertretern des Pentagon, die irakische Delegation ausschließlich aus Zivilisten — darunter der Genfer UNO-Botschafter Barzan A-Tikriti, ein Halbbruder von Präsident Saddam Hussein und offenbar zentrale irakische Figur in den diversen Bemühungen der letzten Tage um eine diplomatische Lösung der Golfkrise.

In der UNO-Stadt, in der jährlich hunderte internationale Konferenzen und Gipfeltreffen stattfinden, fand die Begegnung Asis-Baker ungewöhnlich große Aufmerksamkeit. Schon seit Dienstag abend wurden in zahlreichen Kirchen wie auch in der Moschee die Glocken geläutet und für den Frieden gebetet. Viele Einwohner waren der Bitte von Friedensgruppen gefolgt: Sie trugen weiße Bänder und Kleidungsstücke und hatten als Symbol für den Wunsch nach einer friedlichen Lösung der Golfkrise weiße Tücher an ihre Häuser gehängt. Auch am Rathaus in der historischen Innenstadt wehte eine weiße Fahne.

Das geschäftstüchtige Management des „Interkontinental“ — dessen 343 Zimmer seit Tagen restlos von den 180 Mitgliedern der beiden Delegationen sowie von Journalisten ausgebucht waren — hatte eine große Friedenstaube vor der gläsernen Hotelfassade anbringen lassen und fand das Foto ihres Hause gestern werbewirksam auf den Titelseiten aller großen Schweizer Zeitungen sowie der 'International Herald Tribune‘. Hinter den Absperrungen vor dem „Intercontinental“ demonstrierten mehrere hundert GenferInnen gegen einen Krieg am Golf und für eine Verhandlungslösung. Eine Gruppe in Genf lebender Amerikaner übermittelte einen Brief an Außenminsiter Baker und bat um ein Treffen — allerdings vergeblich. Andreas Zumach, Genf