Der Tango-Tip.

■ Eine groteske Familienidylle

Gesucht und nicht gefunden: das Allheilmittel gegen Schwachheit, Unverstand, Verlogenheit. Welches Prinzip sortiert das menschliche Beisammensein lebendig, farbig, wetterfest?

Im engen Salon brüchiger Bürgerlichkeit, zwischen Kinderwagen und Katafalk, hängen die dürftigen Repräsentanten dreier Generationen aufeinander — eine familiäre Notgemeinschaft auseinanderstrebender Interessen und doch ein geschlossenes Häuflein mehr oder minder aufrichtiger Nonkonformisten. Es gilt: Der rebellische Sohn hat die Ausgänge verrammeln lassen und befiehlt, und alle martern sich das weiche Hirn, die rettende Idee zu finden. Dem Chaos eine neue Ordnung!

Da erwägt man: Gott — doch nur pro forma: zu abstrakt und auch Nichts neues (zudem längst tot). Dann vielleicht: den Sport? Nein, altbekannt und abgestanden. Und der Fortschritt? Na, das kenn' wir schon und bei alledem : zu vage.

Da platzt die burleske Oma ins trübe Brüten, verkündet bescheiden ihren Tod, legt sich kramig nieder und verscheidet prompt. Das ist es: Die Kartenspielvernarrte Oma, noch im Tode herzerfrischend lebensnah, bringt die Idee. Der frustriert-verklemmte Sohn des Hauses greift ohne Zögern zu: Die selbstherrliche Bestimmung über Tod und Leben ist das heilbringende Prinzip. Doch kaum, daß er die Gewaltherrschaft verkündet hat, schon wendet sie sich gegen ihn. Denn nicht der kühle Kopf kann Sieger sein im Terror, sondern allein die starke, nur die stärkste Hand.

Die aber gehört zweifellos dem Edek, einem der Familie zugelaufene Proleten und Kraftmenschen, Pokerpartner und Deckhengst für die Damen. Ein Handkantenschlag genügt, und der Intellektualismus, der drei Akte lang die chaotische Gleichgültigkeit des Hauses aufrieb, ist final erledigt. Die feste Hand des brutalen Naturburschen führt den letzten Tango an, den ewigen Kollaborateur fest im Griff. Blutrote Konsequenz färbt den Bühnenraum: ein schwülstig — faschistoider Männertanz. Der Terror hat gesiegt. Die Karten werden nicht mehr neu gemischt. Das Spiel ist aus.

Slawomir Mrozek schreibt keine Tragödien. Mit der ihm eigenen geradezu mathematischen Logik treibt er die paradoxe Situation des vom Menschen selber produzierten Schicksals in die groteske Konsequenz. Wenn das — wie im TANGO — zur unerbittlichen Farce sich türmt, wird keine glasklare Allegorie daraus: Es schwelt und knistert, denn das allzu Eindeutige bleibt aus.

Vieldeutiges — im großen Haus, soweit ich sah, merkwürdig ungeschlacht — gibt auf der Probebühne des Berliner Ensembles furiosen Einstand. Das ist vor allem den Schauspielern zu danken, denen die Gratwanderung gelingt, absurd überspitzte Figuren nicht in Schablonengehäusen auszudünnen, sondern mit einer Bühnenpräsenz zu beleben, die es sich erlauben darf, ins Groteske auszufransen. Da ist Arthur, das durch zuviel falsche Freiheit verklemmte Muttersöhnchen; wie ein expressionistischer Jugendheld der Stummfilmzeit stakst er mit hängenden Schultern, viel zu langen Armen durch den Raum, sondert rebellische Kaskaden ab, verfällt dabei in harten Zungenschlag, der in hilflosem Hundehusten kümmerlich verendet oder zum weinerlichen Diskant sich hochschraubt. Mit Hitlergriff die widerspenstige Tolle ins rechte Lot gebracht, hängt der unerlösbare Querdenker so ziemlich in der dünnen Luft. Sein Vater, ein Pyjama-Warhol, ist der sanfte Hüne. Mit langfingriger Sensibilität und Wuschelhaar-Chaotik ist er das lasche Signum eines Laissez-faire, dem das beständige »Macht doch, was ihr wollt« die Ruhe gibt. Einzig seine formalistischen Kunstexperimente treiben ihn zur großen Emotion, die freilich meist aus alten Tagen stammt. Aus Zeiten, da die Provokation noch zog: z.B. der öffentliche Beischlaf mit Mama.

Doch wo war das nur und wann? Da muß auch Mama erst rechnen. Sie ist die ihren Körper ewig jung um sich schleudernde ältere Dame im kurzen Kleidchen. Schlampig und feixend, ein sich im Winde drehendes, ewig pubertierendes Emotionsbündel. Im Winde dreht sich auch der Onkel, Eugen, fixiert auf alte Zeiten, deren Ordnung er gern wiederhaben würde: Wie schnell dieser Tölpel dem neuen Zug der Zeit die Pistole hält, läßt einen schon recht klamm werden. Wenn er dann am Ende in den machtgeilen Tanz sich dreingibt, ist der Lacher abgewürgt.

Wie in dieses Bild eines kuriosen Familienlebens sich spaßig-bitter der Menschenprobleme tiefere Bedeutung einschreibt, ist sehenswert. Leider bedingt der alte Repertoirestil der Osttheater, daß viel gespielt wird, aber Gutes selten. Dieser Inszenierung, die schon im April nach der DM-Wahl frech ins neue Nest sich setzte, ist Konjunktur zu wünschen. baal

Zu sehen heute um 19.30 Uhr auf der Probebühne des Berliner Ensembles.