Wodka in Gelb

Darja (Marliese Sondermann) im Wodkaregen(Foto: Ilona Zarypow)

Jedem fallen mit Sicherheit mindestens fünf Orte in der Sowjetunion ein, zu denen es lohnt, sich auf die Reise zu machen. Aber Petuschki? Wer hat schon einmal von Petuschki gehört, geschweige denn einen Gedanken daran verschwendet, diese Kleinstadt kennenzulernen?

»Die Reise nach Petuschki« ist die Geschichte eines Mannes, der sich in Moskau in den Zug nach erwähnter Stadt setzt, um dort seine gelegentliche Geliebte, die »Schlunze«, zu treffen. Das allein wäre der Erwähnung nicht wert, würde er nicht auf der Fahrt allerlei illustre Gestalten treffen, die sämtlich, wie auch er, nur eines im Kopf zu haben scheinen — Saufen bis zum Abwinken. Wodka heißt Wässerchen, und das wird in dieser Erzählung wörtlich genommen.

Dem Autoren Wenedikt Jerofejew ist der Kartoffelextrakt mit Sicherheit nicht fremd gewesen. Er, der sein Studium 1957 wegen Nichtbesuchs des Militärunterrichts beenden mußte, schrieb seine wenigen Erzählungen und Gedichte oft während seiner Jobs als Bauarbeiter, Heizer o.ä. So entstand zum Beispiel »Die Reise nach Petuschki« auf einer Baustelle am Moskauer Flughafen. Im Mai diesen Jahres starb Jerofejew.

Das Zan Pollo Theater dramatisierte die genannte Erzählung. Der erste Eindruck vor der Vorstellung: gelb oder eigentlich sogar noch gelber. Der ganze Raum ist in dieser aufdringlichen Farbe gestrichen und das hätte auf die Dauer sehr anstrengend sein können. Doch im Verlauf des Stückes erscheint das Gelb je nach Situation erstaunlich kalt oder warm. Durchleben muß das Bernd Raucamp, der Wenedikt Jerofejew, die Hauptfigur, spielt: Er macht sich mit einigen Flaschen Wodka auf die Reise. Dabei trifft er unter anderem das skurrile Opa — und Enkel — Duo Mitritsch und Mitritsch (Rainer Brinkmann und Piotr Papierz), den eher windigen und etwas schmierigen 'Bart‘ (Bernhard Leute) und als wunderschöne kleine Episode Darja (Marliese Sondermann), für die es Wodka zu regnen scheint. Sie konstatieren volltrunken, daß alle berühmten Leute gesoffen haben, der 'alte Drecksack Goethe‘ zum Beispiel. Sie tauschen Rezepte alkoholischer Natur aus, die so belebende Ingredienzen wie Rasierwasser »Fichtennadel«, Haarshampoo »Nacht auf dem kahlen Berge« oder schlichtes Antifußschweißpuder beinhalten. Geschichten 'wie von Turgenjew‘ sollen erzählt werden. Unterbrochen werden sie schon mal vom Schaffner (Andreas Gruhn), der sich die Tickets, oder besser gesagt ihr Nichtvorhandensein, in — natürlich — Wodka bezahlen läßt und dementsprechend horizontal durch die Waggons bewegt.

Das Bühnenbild von Ursula Scheib ist nicht nur gelb, sondern auch sehr funktional. Aus einer Kneipe wird in Windeseile ein Zugabteil oder die Wohnung der zu erreichenden Geliebten. Die Kostüme lassen sich ebenfalls wunderbar drehen und wenden (eine rote Kommunistenarmbinde wird so zum schwarzen Trauerflor) und sind zudem an einigen Stellen auch noch beeindruckend geschmacklos. Einer der Beteiligten trägt quietschrosa Socken zu schlammbraunen Schuhen — eine Beleidigung für's Auge, doch der Rolle angemessen.

Die sehr präzisen und schönen Schauspielerarrangements und -konstellationen des Regisseurs Peter Schöttle sind sehr präzise und liebevoll ausgearbeitet. Sieht man einmal von kleinen, dramaturgischen Durchhängern ab, ist Peter Schöttle und dem Zan Pollo Theater wieder ein großes Theaterereignis gelungen. »Die Reise nach Petuschki« ist erneut eine der Mischungen aus Komischem und Tragischem, die den Zuschauer teils aufsaugt, teils befremdet — und über allem steht ein großes Augenzwinkern. Anja Poschen

Wenedikt Jerofejew (Bernd Raucamp) beim AlkoholgenußFoto: David Baltzer

»Die Reise nach Petuschki« nach einer Erzählung von Wenedikt Jerofejew Freitag bis Sonntag um 20Uhr noch bis zum 27.Januar im Zan Pollo Theater.