Ein Intrigant im Hause Florio

»Schade, daß sie eine Hure war«, bedauert der Nuntius des Papstes im (bis auf den Tempus) gleichnamigen Stück von John Ford das Ableben von Annabella. Sie ist die Tochter Florios, eines reichen Bürgers aus dem Parma des 17. Jahrhunderts. Anziehend, intelligent und nicht ohne Mitgift wird sie von mehreren Edelleuten und Bürgern umworben. Doch nicht einen der teilweise durchaus passablen Freier trifft ihre Wahl — sie liebt ihren Bruder Giovanni, was von diesem aufs Heftigste erwidert wird. Niemand in ihrem Hause ahnt etwas davon. Nur die Amme Putana weiß von ihren Gefühlen und unterstützt die beiden tatkräftig. Die Situation ändert sich schlagartig, als Annabella schwanger wird. Die Geschwister holen sich Rat bei einem Priester, der ihnen — entsetzt, schockiert — empfiehlt, daß sie heiraten solle, um ihre Ehre zu retten. Gesagt, getan, für den Freier Soranzo erfüllt sich nun doch noch sein innigster Wunsch. Denkt er zumindest, denn als er nach der Hochzeit entdeckt, in welchem Zustand sie sich befindet, ist es aus mit dem jungen Eheglück. Soranzo sinnt auf Rache. Durch List und Tücke seines Dieners Vasques erfährt er, wer sein Vorgänger war. An seinem Geburtstag spitzen sich die Ereignisse zu. Giovanni tötet seine Schwester, um im Tode mit ihr vereint zu sein, und läßt sich dann von seinem Schwager töten. Der Vater fällt der Schande wegen ganz einfach um. Nur der Nuntius, der ebenfalls zu Gast war, sieht noch einen Vorteil: das Vermögen der Sünder muß natürlich an die Kirche gehen.

Das Ensemble-Theater am Südstern erarbeitete eine eigene Spielfassung des 1633 geschriebenen Stücks. In stark zusammengeraffter Form werden die Themen zugespitzt, ohne an Spannung oder Witz zu verlieren. Regisseur Thomas Hollaender inszeniert das Drama sehr temporeich. Schnelle und präzise Auf- und Abgänge kennzeichnen Anfang und Ende jeder Szene, egal, an welchem Spielort sie stattfindet. Umbauten sind nicht notwendig; wie im Elisabethanischen Theater wird der Zuschauer zu Beginn der Szene informiert, wo sich die Protagonisten gerade aufhalten. So besteht das Bühnenbild von Janina Mendroch auch nur aus einem Vorhang und verschiedenen Auftrittsmöglichkeiten. Das Timing klappt wunderbar, trotz verschiedener Doppelbesetzungen, die sich in kürzester Zeit umziehen und —schminken müssen, so daß dem Zuschauer keine Sekunde Ruhe gegönnt wird. Außerdem werden ihm zum üblichen Handlungsverlauf noch die unterschiedlichsten Einlagen geboten. Während einer Prügelei z.B. läßt sich Freier Grimaldi (Hans- Jörg Berchtold) mehrfach gekonnt akrobatisch von der Bühne schmeißen, es gibt eine durchaus sehenswerte Fechtszene, Live-Vogelstimmen bei Szenen im Freien, und eine Gesangseinlage, auf die man allerdings gern verzichtet hätte.

Großes Lob gebührt der Ausarbeitung der Rollen und ihrer Bestzung. Ein Gemisch aus witzigem Chargieren und ernsthaftem Spiel läßt das Stück nicht zum moralischen Trauerspiel verkommen. So ist Vater Florio (Wolfgang Bott) mit seinem überdimensionalen Bauch und seiner Trotteligkeit immer wieder eine Lachnummer. Das gleiche gilt für Robert Podlesny als Nuntius des Papstes, der völlig erloschen, wie aus dem Grabe entstiegen über die Bühne schleicht, sich küssen und hofieren läßt, und aus Raffgier und Genußsucht öfter mal ins Fettnäpfchen tritt. Dem unglückseligen Liebesduo (Verena Volkart und Gerhard König) glaubt man zwar nicht immer ihre Gefühle, doch im Großen und Ganzen bilden sie ein recht passables Paar.

Herausragend jedoch ist Pedro Sobisch, der in seinen zwei Dienerrollen die schnellsten Verwandlungen sowohl in Kostüm und Maske hinzulegen hat als auch in der Unterschiedlichkeit der Figuren. Einmal ist er der etwas zerlumpte, aufopfernde Gefährte eines bürgerlichen Freiers, und zum anderen der hinterhältige Intrigant Vasques, der die Geheimnisse im Hause Florio schnell für sich gewinnt. Im zweiten Teil des Stücks ist er der Spielmacher, und das nicht nur der Rolle wegen.

»Schade, daß sie eine Hure ist« in der Fassung des Ensemble-Theaters ist eine gut durchdachte Aufführung, deren kleine Mängel dem Vergnügen des Zuschauers keinen Abbruch tun. Denn es macht Spaß, Schauspielern zuzusehen, die sich in ihren Rollen sichtlich wohlfühlen. Anja Poschen

»Schade, daß sie eine Hure ist« von John Ford Donnerstag bis Montag um 20.30 Uhr im Ensemble-Theater am Südstern.