Mondkälber und Astronomen

■ Geplant: Mordsspektakel um den Sternengucker Schröter in Lilienthal / Erstes Sponsorentreffen im Parkhotel

Von Schröter um 1791 maßgeblich verfeinerte Mondkarte

Nacht wie dicke Tinte, hoch droben eine käsig bleiche Scheibe: Moon over Lilienthal. Bestimmt werden ferne Frösche knarzen, bevor aus den Fachwerkhäuschen die Leute stürzen und Feurio schreien, während oben auf dem Turm einer hockt in dreckigen Stulpenstiefeln und bewegungslos in den Mond starrt durch sein siebenundzwanzigfüßiges Teleskop.

Wenn es nach der Agentur Pro Optima geht, scharwenzeln derweil schon hinter der Bühne im Sponsorenzelt Bedienstete in absolut originaler Tracht und schleppen in dampfenden Schüsseln heran, was man original auch

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bitte

die

Mondkarte

damals gegessen hat in Lilienthal, 1813, als es so großmächtig gebrannt hat. Prall ist das Leben! Und heiter die Kunst, wofern das Geld ihr beiwohnt.

Aber erst muß man es rumkriegen: die verwegene Freilichtbühne Lilienthal e.V. hat weit ausgeholt zu einem wuchtigen theatralischen Handstreich mit 22 Szenen und 70 Sprechrollen, welturaufzuführen am kommenden 10. August, und sucht jetzt Zahlväter für das Kind. Allerlei Geldbesitzer, wohl dreißig an der Zahl, haben sich jetzt ins rosa Kabinett des Parkhotels auf ein wenig Lachs undsofort zusammentrommeln lassen, und Friedrich „Erbonkel“ Rebers von der Sparkasse schon wieder mittendrin. Hinten auf den Einladungskarten aber steht schon mal: „Sparsamkeit ist die Tugend der halblebendigen Menschen“, Henry Ford III. Bloß wie jetzt weiter?

Reden. Über den Golf und Karajan und den Lachs und alles, was es gibt auf der Welt außer Geld. Da steht zum Glück einer auf, es ist der schweizerische Autor Felix Wendler, ein feinmelierter Herr, und erzählt. Ihn haben die geldeswerten Lilienthaler mirnix, dirnix beauftragt, ihnen ein Stück zu machen über den verschollenen Johann Hieronymus Schröter, welcher um die Wende zum 19. Jahrhundert daselbst gehaust hat: tagsüber als schwaches gestiefeltes Oberamtmännlein bei den Torfbauern des Teufelsmoors, nachts aber auf einem seiner vier Teleskope als großer Astronom.

Aus diesem sonderbaren Leben hat Wendler ein, wie er sagt, „historisches Festspiel“ gefertigt, bei dem halb Lilienthal Gelegenheit haben wird mitzutun: kostümschneiderisch, pyrotechnisch oder in einer der zahllosen

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die Teleskop-

Zeichnung

Eine der vier riesigen Schröterschen Sternwarten. 6 Meter Brennweite.

Rollen: von Georg Tischbein, dem bremischen Freund und Kupferstecher bis zu den Bauernschädeln Ottje, Hinnerk und Dierk und den paar leibhaftigen Planeten, die auch dabei sind. Relevante Frauen hätte Wendler auch auftreiben wollen, sagt er, aber da gab es kaum zwei: einmal Schröters dreizehn Jahre ältere Schwester Elisabeth, die ihm den Haushalt besorgte, und ganz andererseits die blutjunge Dienstmagd Ahlke Lankenau, mit der er ein Kind hatte. Zwischen diesen beiden hing blaß der Mond und Schröter an ihm. Halbe Nächte verbrachte er, als erster seriöser Mondforscher, hinter seinen berühmten selbstgebastelten Riesenteleskopen, der damals größten Anlage auf dem europäischen Kontinent.

Im September 1791 gab Schröter in Lilienthal den ersten Band seines großen Mondwerkes heraus: die „Selenotopographischen Fragmente“, was ein ziemlich markiger Knochen war, an dem die Fachwelt noch heute mit Behagen nagt. Dessen 200jähriges feiert die Uraufführung von „Schröter oder Das Auge“ am 10. August gleich mit, und alle sind gehörig aufgeregt, sogar der pfundsgemütliche Bühnenbildner Georg Suhr, der schon eifrig an einem Fachwerkstädtchen mit Teleskopturm skizzelt; und erst neben ihm der Regisseur! Der ganze Werner Michaelsen ist von innen beleuchtet und läßt ein stilles Lächeln scheinen über alles. Solche Aufgabe! Und begeisterte Laien noch und noch.

Bloß fehlen von den benötigten 260.000 Mark noch 230.000. Wie macht man nur so ein, wie heißt das, Sponsorentreffen? Die betreuende Agentur Pro Optima hat vorsichtshalber von weither einen Sponsoring-Experten besorgt, einen Gerhard Modrow von der CDU, welcher vor dem Nachtisch mahnende Worte spricht: Du Sponsor wollest nur ja nicht gleich mit Bandenwerbung protzen wollen oder gar mit Firmen-Neon auf der Bühne! Und Du Theater, schau nur ja, daß Du Deinen Gönner imagemäßig dezent-sauber präsentierst! Weil die Kultur „hat einen hohen Wirtschaftswert“, sagt er; für jede Mark, die man reinsteckt, sagt er, kriegt man erwiesenermaßen eine Mark achtzig wieder, „hat BMW ausgerechnet“. So haut er, ein Reinfallspinsel sondergleichen, die ganze delikate Stimmung kaputt. Und die Herren blicken stumm auf dem ganzen Tisch herum.

Da muß Rebers wieder den Libero machen: Alles verschieben, sagt er. Keine Spenderlisten, keine Beschlüsse. Die Herren werden separat angeschrieben. Wahrscheinlich wird man einen Freundeskreis gründen. Ach, wenn es nur endlich flösse, das Geld. Hier ist sie, einen letzten Augenblick lang: die Kultur als Unerfahrene. Sie wird sich professionalisieren. Manfred Dworschak