piwik no script img

Ost-Kitas in Gefahr

■ Seit Januar gibt es keinen Pfennig mehr für Kindertagesstätten / Altzernative zu den staatlichen Kitas wird gebraucht / Senat bezahlt neue Plätze nur, wenn alte wegkommen

Prenzlauer Berg. Rechts und links des staatlichen Einheitskindergartens haben sich in der Belforter Straße gleich zwei alternative Kindertagesstätten angesiedelt. Seit einem halben Jahr wird in der Kita »Erdnuckel« das versucht, was viele Eltern in den staatlichen Einrichtungen vermißten: eine Betreuung ohne strenge Erziehungsprogramme.

Im »Erdnuckel« betreuen Sabine Schulz und Andrea Hotzko zehn Kinder. Noch — denn jetzt ist die alternative Einrichtung genauso in Gefahr wie die beiden anderen Einrichtungen in Prenzlauer Berg. Seit Januar gibt es kein Geld mehr, und ob die Ostberliner Projekte bei der angespannten Finanzsituation in einem Nachtragshaushalt berücksichtigt werden, weiß momentan niemand. Im Gegensatz zu den Westberliner Eltern-Kitas, die zumindest für die nächsten drei Monate Geld bekommen sollen, haben weder die Projekte noch die Stadträte ein positives Signale erhalten.

Wartelisten trotz hoher Elternkosten

Dabei hielten sich die neuen Kitas bisher gerade so über Wasser. Für einen Platz bei »Erdnuckel« mußten die Eltern pro Kind 250 Mark lockermachen. Viel Geld, aber damit konnten gerade die nötigsten Kosten abgedeckt werden. Für die beiden Erzieherinnen bleiben als Lohn nur 400 Mark übrig. Bis zum Dezember war die Miete noch kein Problem, doch jetzt sollen sie das Dreifache zahlen, da ihre Räume als Gewerbefläche laufen. Steigende Strom- und Gaskosten kommen noch hinzu.

»Er kann doch nicht sein, daß das, was wir hier aufgebaut haben, schon wieder im Keim erstickt werden soll«, meint Andrea Hotzko. Eine nochmalige Erhöhung der Elternbeiträge sei bei den mageren Gehältern nicht möglich, die »Eltern nörgeln jetzt schon rum«. Trotzdem gibt es nicht nur bei »Erdnuckel«, sondern auch in den beiden anderen Einrichtungen lange Wartelisten. An der Integrationstagesstätte »Pustekuchen« steht jeden zweiten Tag jemand vor der Tür, der sein Kind bringen will.

Doch dem Senat scheint dies kein Argument. Mit der Begründung, es gebe genügend Kindergartenplätze in Ost-Berlin, wimmelte er bisher die geldfordernden Intiativgruppen ab. Nur auf Protest aller Kindereinrichtungen in freier Trägerschaft im Dezember verteilte der Senat einen einmaligen Weihnachtsbonbon von 50.000 Mark. Allerdings nur an die fünf bereits länger arbeitenden Kitas in Ost-Berlin. Beim Geldverteilen gilt im Senat die Faustregel, daß neue Projekte nur dann gefördert werden, wenn man gleichzeitg Plätze in alten Einrichtungen abbaut. Stadtrat Siegfried Zoels will das nicht akzeptieren, da in Prenzlauer Berg der immer noch großen Nachfrage nur zu 95 Prozent entsprochen werden kann. Für Initiativen wie die Friedrichshainer Integrationstagesstätte, die sich mitten im Aufbau befindet, und 14 weitere gibt es kaum eine Chance, finanziell unterstützt zu werden.

Zurück in die staatlichen Kitas würde Sabine Schulz ihr Kind nicht geben. Zu wenig habe sich für sie, die dort als Erzieherin und Mutter ihre Erfahrungen sammelte, verändert. Die Weiterbildungsangebote seien noch zu gering, gibt auch Stadtrat Zoels zu. Seine Verwaltung schlägt Hospitationen vor, bietet Vorträge an, die den ErzieherInnen helfen sollen, eigene Programme für ihre Kita zu entwickeln. Eine Arbeitsgruppe bemüht sich seit einiger Zeit schon um die Umgestaltung der 16 »Kinderkombinationen« im Bezirk.

Hoffen auf eine ABM-Stelle

In der Hoffnung, irgendwann einmal von der Kommune gefördert zu werden, nahmen die Initiativgruppen, damals oft unter dem Dach des Neuen Forums entstanden, die Sache selbst in die Hand. Vom Suchen nach leerstehendem Wohnraum bis zur selbstfinanzierten Rekonstruktion der heruntergekommenen Altbauwohnungen. Jedes Bett, jeder Kinderwagen mußte mit Elternhilfe zusammengesucht werden. »Vorher durften wir aus ideologischen Gründen nicht, jetzt gibt es kein Geld für uns«, sagt Annette Herzog von der Kita »Pustekuchen«. Als anfängliches Vorzeige-Pilotprojekt vom damaligen Rat des Stadtbezirkes unterstützt, erhielt man vier Stellen, die nun nicht mehr weiter finanziert werden sollen. Die MitarbeiterInnen hoffen jetzt darauf, diese in ABM- Stellen umwandeln zu können. Integrative Einrichtungen gab es in der Ex-DDR nicht. Unter den 21 Kindern in der Kita »Pustekuchen« spielen zwei behinderte, die sonst nur in oft weit entfernten »Sonderkindergärten« unterkommen würden. Sie würden gern noch mehr behinderte Kinder aufnehmen, sagt Annette Herzog, doch dafür reicht die Kraft der vorhandenen MitarbeiterInnen nicht aus. Anja Baum

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen