Mit Gebetbuch und Pistole

Über „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ von Jaeckel/Rosh  ■ Von Eberhard Rondholz

Es gibt Leute, die fanden die von dem Autorenpaar Eberhard Jaeckel und Lea Rosh realisierte Holocaust-Fernsehserie Der Tod ist ein Meister aus Deutschland ziemlich überflüssig nach Lanzmanns Shoa. Was dann auch für das Buch zum Film gälte, denn da handelt es sich im wesentlichen um eine Abschrift des Films. Außerdem gibt es jetzt endlich Raul Hilbergs Standardwerk Die Vernichtung der europäischen Juden als Taschenbuchkassette, und zwar zu dem erstaunlich zivilen Preis von 39,80 Mark. Zwar hat Hilberg für sein großes Werk keinen Geschwister-Scholl-Preis bekommen, im Unterschied zu Jaeckel und Rosh, aber er tritt auch nicht ständig in Fernsehtalkshows auf. Und Preisgeber schmücken sich eben gern mit prominenten Preisträgern.

Durchaus verzichtbar also das Buch mit dem aus Paul Celans GedichtTodesfuge entlehnten Titel, es sei denn, es würde dem in seinem Untertitel erhobenen Anspruch gerecht, seriös und einigermaßen umfassend über ein Spezialproblem der nationalsozialistischen Judenvernichtung zu informieren: über „Kollaboration und Verweigerung“.

Leider tut's das nicht. Und es gibt da so gravierende Versäumnisse und Auslassungen, daß hier etwas näher darauf eingegangen werden soll; es hat ja vielleicht der eine oder andere das Buch schon gekauft. Der Massenmord an den Juden, schreiben Jaeckel/Rosh, „ging von Deutschland und besonders von Hitler aus“, aber er wäre „ohne Kollaboration in [den besetzten Ländern] nicht möglich gewesen.“ Und es gab (da kann sich Deutschland, von dem alles „ausging“, aber freuen) mehr als nur die einfache Kollaboration, es gab auch die aktive Beteiligung der anderen am Mord. Der „Meister aus Deutschland“ fand überall „viele Gesellen, die mitmachten“, und denen wollten Jaeckel und Rosh „nachspüren“. So haben zum Beispiel die Rumänen (wie das Buch ausführlich dokumentiert) bereitwillig mehr als nur Beihilfe geleistet. Sie haben eifrig mitmassakriert. Warum aber fehlt in diesem Buch (wie in der Fernsehserie) einer der eklatantesten Fälle dieser Mittäterschaft überhaupt, das Beispiel Kroatien? Hat da lediglich der Zufall Regie geführt?

Die Kroaten gehörten in vieler Hinsicht zu den willigsten Kollaborateuren der Nazis, und sie wurden dafür von Adolf Hitler belohnt: mit der Anerkennung der staatlichen Unabhängigkeit unter Ante Pavelic und seiner faschistischen Ustascha-Bewegung und indem ihnen der Führer freie Hand ließ bei ihrem Massenmord an den Serben. Es war aber sicher nicht vorauseilender Gehorsam allein, der die kroatischen Ustascha- Faschisten veranlaßte, mit den Serben auch die Juden in den Todeslagern von Jasenovac und Stara Gradiska zusammenzutreiben, viele von ihnen an Ort und Stelle umzubringen und den Nazis so einen Teil der Ausrottungsarbeit abzunehmen. Es war auch klerikaler Antisemitismus im Spiel. Viele katholische Kleriker beteiligten sich eigenhändig am Judenmord, allen voran der mit dem sinistren Namen „Bruder Teufel“ in die Geschichte eingegangene blutrünstige Franziskaner-Mönch Miroslav Filipovic-Majstorovic, der vor allem im KZ Jasenovac gewütet hat. Auch das Verhalten des Oberhirten der kroatischen Katholiken, des Zagreber Erzbischofs Stepinac, verdient hier gewürdigt zu werden — er hat zwar ein paar halbherzige Schritte unternommen, um die (in nicht geringer Zahl aus begreiflicher Furcht) zum Katholizismus konvertierten Juden, seine eigenen Schäflein sozusagen, vor der Vernichtung zu retten. Er hat aber auch (und dies gehört zu den übelsten Kapiteln katholischer Kirchengeschichte) die eilfertige Bereitwilligkeit katholischer Kroaten zur Beteiligung an der Judenvernichtung mit der dokumentierten Äußerung zu rechtfertigen gesucht, Juden hätten sich an der Verbreitung pornografischer Schriften beteiligt, und jüdische Ärzte hätten schließlich einen großen Anteil an den geschätzten 60.000 jährlichen Abtreibungen in Kroatien gehabt.

Menachem Shelah hat dieses üble „Hirtenwort“ auf dem Kongreß „Remembering for the Future“ vor zweieinhalb Jahren in London zitiert (auf dem übrigens auch Jaeckel referierte), nachzulesen in dem über 3.000 Seiten umfassenden, dreibändigen Kongreßprotokoll, das bereits 1989 erschienen ist. Dort sind auch andere „Hirtenworte“ aus Kroatien nachzulesen; eins stammt von dem Bischof von Sarajevo, Ivan Saric: „Die Bewegung zur Befreiung der Welt von den Juden ist eine Bewegung zur Wiederherstellung der menschlichen Würde“, schrieb der Kirchenmann in seinem Artikel zum Thema: „Warum werden die Juden verfolgt?“ Sein Amtsbruder in Djakovo, Aksamovic, bezeichnete es als eine „heilige Pflicht eines jeden Bürgers, seine arische Herkunft nachzuweisen“, und ein Professor der katholischen Theologie namens Guberina beschimpfte Kroaten, die gegen die Greuel der Ustascha protestierten, als „geistige Zwerge“; es sei das natürliche Recht des kroatischen Volks, „seinen Organismus von Gift zu reinigen“, „seine Gegner mit dem Schwert zu vernichten“, auch präventiv. Und ein Priester namens Mate Mugos schließlich schrieb in einem Aufruf an seine Kollegen: „Bis jetzt haben wir dem katholischen Glauben nur mit Gebetbuch und Kreuz gedient. Die Zeit ist gekommen, dies mit Gewehr und Pistole zu tun.“

Es stellt sich hier nun die Frage: Sollte mit dem Verzicht auf die Darstellung dieses besonders krassen Falls von Kollaboration vielleicht jemand geschont werden — nämlich die katholische Kirche? Deren Rolle bei der Judenvernichtung wird in dem ganzen Buch nur an einer einzigen Stelle erwähnt mit einem lapidaren Hinweis auf den Papst, der sich „zu keiner Äußerung gegen die Deportationen von Juden aus Rom hatte hinreißen lassen“. Ist das alles, was über den „Stellvertreter“ in diesem Zusammenhang zu sagen wäre? Es kommt noch ein italienisches Kloster vor, wohlgemerkt keine jener Relaisstationen der berüchtigten „Rattenlinie“, auf der die katholische Kirche nach Ende des Dritten Reiches NS- Verbrecher nach Lateinamerika ausschleusen half. Lea Rosh besuchte ein paar Nonnen, die jüdische Kinder versteckt hatten. Und so etwas hat es ja durchaus gegeben. Aber es gab eben außer den guten italienischen Nonnen auch die blutrünstigen kroatischen Mönche und Priester, die dem „Meister aus Deutschland“ mehr als nur „Gesellen“ waren, die Massenmörder in Kutte und Talar, jene Glieder der katholischen Kirche, die über die stille Kollaboration hinaus aktiv Hand anlegten bei der Judenvernichtung und nicht nur mit dem Hirtenbrief, sondern auch mit dem Hackmesser mittaten — wie eben im katholischen Kroatien.

Und noch ein weißer Fleck auf der Holocaust-Landkarte von Jaeckel und Rosh verdient hier Erwähnung. Um einen Fall von Verweigerung geht es diesmal, der bis heute in Deutschland fast unbekannt geblieben ist: um den Widerstand der Griechen gegen die Judendeportation. Nur ein paar trockene Zahlen und Daten über die Vernichtung der griechischen Juden werden in dem Buch genannt, im übrigen wird als repräsentativ für diesen Teil des besetzten Europas ein Stück Italien präsentiert. Ins schöne Rhodos nämlich ist das Autorenpaar gefahren, das zur Zeit des Zweiten Weltkriegs noch nicht zum griechischen Staat gehörte. Und dort, so hat man nach Lektüre des Buches den Eindruck, wohnen lauter verstockte griechische Antisemiten, die noch heute „mit finsterem Gesicht“ und „feindlichen Gesten“ die Auskunft verweigern, wenn man nach der Synagoge fragt. Die Synagoge, das nur nebenbei, ist in der Altstadt von Rhodos für jeden Journalisten auch ohne Passantenhilfe auffindbar, die Bürger von Rhodos haben nämlich zum einen den traditionsreichen „Platz des Erzbischofspalasts“ in „Platia Evräon Martyron“ („Platz der jüdischen Märtyrer“) umbenannt, so steht er heute auf jedem Stadtplan und in jedem wirklich guten deutschsprachigen Reiseführer, und auf diesem Platz weisen gut sichtbare Schilder auf die nur wenige Meter entfernte Synagoge hin.

Das ist das eine. Das andere aber ist schlimmer: die Vorführung einer angeblich damals wie heute judenfeindlichen griechischen Bevölkerung von Rhodos enthält so viel Schweigen über das, was die Griechen in den Jahren der Nazibesatzung für ihre jüdischen Mitbürger getan haben, daß es schon ein kleiner Skandal genannt werden muß. Hätte das Autorenpaar sich die Mühe gemacht, einmal in der einstigen Metropole des Balkan-Judentums, in Thessaloniki, nachzufragen, bei dem bekannten Buchhändler Solomon Molho zum Beispiel, es hätte die folgende Geschichte erfahren können: Molho und seiner Schwester war es 1943 gelungen, die von Deutschen besetzte Stadt noch rechtzeitig mit einem kleinen Segelboot zu verlassen. Nach allerlei Umwegen fanden sie schließlich auf der Insel Skopelos einen sicheren Unterschlupf zusammen mit 15 weiteren Juden. Sie wurden in den Dörfern Glossa und Klima versteckt, alle Einheimischen wußten das, und nicht einer fand sich unter ihnen, die Verborgenen zu denunzieren. Der Gemeindepräsident von Glossa, Mintziliotis, der die Rettung dieser Juden organisiert hatte, wurde später mit einem Baum in Yad Vashem geehrt. Und Leute wie Mintziliotis hat es in Griechenland Tausende gegeben, Menschen, die ihr Leben riskitierten, um das anderer zu retten, und manche haben ihre Hilfsbereitschaft mit dem Leben bezahlt.

Die Autoren hätten auch erfahren können, wie Solomon Molhos spätere Frau die Judenjagd in Griechenland überlebte: Sie wurde in einem Fischerboot über die Ägäis ans kleinasiatische Ufer gebracht. Es war vor allem die Nationale Befreiungsfront (EAM), die die Juden auf dem Seeweg nach Kleinasien brachte, unterstützt von der Hagganah. Sehr zum Ärger britischer Beobachter, die davon Wind bekommen hatten, und denen mißfiel, daß die wohlhabenden Juden für die Überfahrten in die Türkei bezahlten. Und so wurde im Foreign Office erwogen, die Rettungsaktion zu unterbinden, um der linken Résistance eine vermeintliche üppige Geldquelle zu verschließen. Churchill persönlich blockierte dieses schändliche Vorhaben. Im übrigen erzählt Solomon Molho heute, daß seine Frau damals ganze zwei britische Goldpfund für die Überfahrt bezahlt hatte, weil sie das Geld besaß. Ein lächerlicher Betrag, sagt Molho, wenn man damit sein Leben retten konnte. Und wer nichts hatte, bezahlte nichts.

Und sie hätten erfahren können, auf welche Weise die Griechen den Juden noch geholfen haben, die griechisch-orthodoxe Kirche zum Beispiel, allen voran Erzbischof Damaskinos: Er stellte, nach vergeblichen Protesten gegen die Deportation, den Juden gefälschte Taufbescheinungen aus, und der Polizeichef der Athener Kollaborationsregierung, Evert, versah anschließend die scheingetauften Juden mit falschen Personalausweisen.

Der ehemalige Gouverneur der Bank von Griechenland, Professor Angelopoulos, hat in diesen Tagen wieder einmal in aller Bescheidenheit die Bonner Regierung an einen Geldbetrag erinnert, den der superreiche Nachfolgestaat des Dritten Reiches dem armen Griechenland bis heute schuldet — wohlgemerkt, es geht nicht um die Milliardenschäden, die die Besatzer angerichtet haben, nur um eine nicht zurückbezahlte Zwangsanleihe. Deutschland wird nicht bezahlen, unter irgendwelchen Vorwänden, das ist absehbar. Und der Zwerg Griechenland kann den großdeutschen Riesen auch nicht zur Rückzahlung des Darlehens zwingen. Eins aber könnten die Deutschen wenigstens tun: hier darüber informieren, was die griechische Résistance im Zweiten Weltkrieg unter furchtbaren Opfern zur Befreiung nicht nur ihres Landes, sondern auch des unseren vom Faschismus beigetragen hat und wie die Griechen viele tausend Juden vor dem sicheren Tod bewahrten. Einem Buch, das sich erklärtermaßen mit dem Thema „Kollaboration und Verweigerung“ beschäftigt, hätte es gut angestanden, dieses Stück Information zu geben — neben anderen, die (s.o.) ebenfalls verschwiegen wurden.

Eberhard Jaeckel/Lea Rosh: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland , Hoffmann & Campe Verlag, 36DM.