Das Schweigen macht sie stutzig

Die neue Oppositionsregierung Burmas gegen das Militär—durch ein mehrheitliches Wählervotum legitimiert—wird weltweit ignoriert  ■ Aus Burma Dorothee Wenner

„Die einzigen Rebellen hier in Burma sind die Militärs, ihre Regierungsmacht entbehrt jeder Legitimität“ — U Hla Pe, Informationsminister der neuen Gegenregierung Burmas residiert in dem kleinen Dschungelnest Manerplaw nahe der Grenze zu Thailand. Trotzdem wollen er und sein Kabinett sich nicht als Guerilleros mißverstanden wissen. „Wir sind gewählte Volksvertreter, unsere Streitkräfte kämpfen legal.“ Die vordringlichste Aufgabe, erklärt der Minister, sei es die Junta zu stürzen, um die Nationalversammlung einzuberufen und eine demokratische Volksvertretung zu bilden.

Vor knapp vier Wochen hat sich in Burma eine Parallelregierung zur Militärjunta konstituiert, das „National Coalition Government of the Union of Burma“ (NCG). Der Regierungssitz Manerplaw liegt in der befreiten Zone, am grün und leise dahinströmenden Moei-River. Strategische Überlegungen haben das Hauptquartier der „Karen National Union“ (KNU) zum Zentrum für die gesamte revolutionäre Opposition gemacht: Es liegt, vor Luftangriffen einigermaßen geschützt, hinter einer Gebirgskette. Wichtiger aber ist die Nähe Thailand, dessen Territorium am anderen Flußufer beginnt. Durch den Nachbarstaat soll gewährleistet werden, was an jedem anderen Ort Burmas derzeit unmöglich ist: die Kommunikation zwischen der in den Busch gedrängten demokratischen Oppositionsbewegung und der „Außenwelt“.

Doch Nachrichten vom burmesischen Widerstand erreichen die Weltöffentlichkeit mit mindestens ebenso viel Schwierigkeiten wie man auf der holprigen Urwaldpiste nach Manerplaw gelangt: 13 Stunden braucht der Bus von Bangkok bis in das Städtchen, von wo aus jeden Morgen Pick-up-trucks den größten Schwarzmarkt an der thai-burmesischen Grenze beliefern. Das Dorf Mae Sam Laep, ein entlegener Schauplatz, ist fett und reich geworden durch den über 40jährigen Bürgerkrieg im Nachbarland. Die Marktbuden reichen bis hinunter ans Ufer, angeboten wird alles, was man braucht oder bestellt hat — Kassetten, Treibstoff, Süßigkeiten, Hühner, T-Shirts. Die Käufer, zumeist Karen, kommen mit Booten, und wenn sie in ihre Dörfer zurückfahren, mischen sich meistens auch einige Aktivisten der Oppositonsbewegung oder Journalisten unters Volk. Die thailändischen Kontrollposten dulden diesen kleinen Grenzverkehr, schauen nicht hin, ganz im Unterschied zu ihren Kollegen an der Grenze zur revolutionären Zone. Demnächst sollen ausländische Besucher hier Visa mit dem Emblem der Republik Burma in ihre Pässe gestempelt bekommen, als selbstbewußtes Zeichen einer faktisch noch lange nicht erreichten internationalen Anerkennung als rechtmäßige Regierung.

Bei den Parlamentswahlen im Mai 1990, den ersten nach 30 Jahren Militärherrschaft in Burma, hat die „National League for Democracy“ (NLD) über vier Fünftel der Sitze in der Nationalversammlung gewonnen. Trotz dieses Wahlsieges wurde die NLD seither daran gehindert, eine Regierung zu bilden. Die meisten Parteimitglieder sitzen in Gefängnissen, werden verhört, gefoltert, manche sind zu Zwangsarbeit verurteilt oder stehen, wie die populäre Parteivorsitzende Daw Aung San Suu Kyi, unter Hausarrest.

Niemand in Burma glaubt mehr daran, daß das sogenannte „State Law and Order Restoration Council“ (SLORC) die Regierungsgewalt an die Wahlsieger übergeben wird. Statt entsprechende Verhandlungen vorzubereiten, gab das militärhörige Gremium im Juli letzten Jahres die berüchtigte „Verordnung 1/90“ heraus, die besagt, daß Exekutive, Legislative und Judikative vorerst in den Händen der Junta bleiben. Anderslautende Forderungen werden als „Hochverrat“ angesehen und mit Waffengewalt beantwortet. Allein die Zahl derer, die als mutmaßliche Oppositionelle aus den Städten in malariaverseuchte Gebiete zwangsumgesiedelt wurden, wird mittlerweile auf eine halbe Millionen geschätzt. Ein Mönch, dem kürzlich die Flucht nach Manerplaw gelang, berichtet, daß in Mandalay etwa 10.000 Mönche unter „Tempelarrest“ stehen. Für buddhistische Mönche, deren einzige Nahrung aus den Opfergaben besteht, die sie morgens von gläubigen Familien im Umkreis des Tempels einsammeln, kommt diese Strafe fast einem Todesurteil gleich: letzte Antwort des SLORC auf die spektakuläre Protestaktion der Mönche, die im September vergangenen Jahres die Opfergaben von Militärs und ihren Familien verweigert hatten. Wenn im kommenden Februar das „International Committee of Jurists“ in Genf seinen Bericht über Menschenrechtsverletzungen vorlegen wird, ist es nicht unwahrscheinlich, daß Burma mit traurigen Rekorden die Liste der angeklagten Länder anführen wird.

Allerdings sind es nicht nur solche Repressionsmaßnahmen, mit denen sich die Militärclique um Saw Maung an der Macht zu halten vermag. Burmas Innenpolitik wird seit Jahrhunderten von einem Konflikt zwischen den verschiedenen Ethnien bestimmt — von den 40 Millionen Einwohnern sind nur etwa 15 Millionen Burmesen. Die Militärjunta schürte mit ihrer Propaganda alte religiöse und weltanschauliche Differnzen zwischen Karen, Kachin, Arakanesen, Shan, Mon und den vielen anderen Ethnien. Mit dem Erfolg, daß manche politischen Beobachter heute daran zweifeln, ob der Bürgerkrieg in Burma tatsächlich beendet wäre, sollte es in der nächsten Zeit gelingen, die Militärregierung zu stürzen. Möglicherweise würden die eher sozialistisch orientierten Kachin, (die gute Beziehungen zum Nachbarland China pflegen), gegen die als christlich-bürgerlich charakterisierten Karen (die angeblich mit dem CIA kooperieren sollen) weiterkämpfen oder gegen die Arakanesen im Grenzgebiet zu Bangladesh, von denen sich viele zum Islam bekennen.

Zu diesem Problem befragt, antwortet der Minister für Bergbau, Energie und Ressourcen, U Bo Hla Tint: „Der Hauptwiderspruch liegt doch nicht zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, sondern zwischen der Militärjunta und der gesamten, restlichen Bevölkerung Burmas. Außerdem haben wir dieses Problem schon zur Hälfte bewältigt, indem wir diese Regierung gebildet haben und sich die bewaffneten Truppen der Ethnien zusammengeschlossen haben. Den Rest des Problems werden wir lösen, wenn wir die Nationalversammlung einberufen können, also nach dem Sturz der Militärjunta.“ U Bo Hla Tinits Statement klingt stereotyp, fast auswendig gelernt. Glaubhaft wird es einzig durch den Optimismus, mit dem in den vielen verschiedenen „Büros“ von Manerplaw die Bildung der Gegenregierung und ihr förderalistisches Programm diskutiert wird. In den Klassenräumen der „Federal University“, in der offenen Bambushütte der „All Burma Young Monks Union“ mit dem weihrauchumwehten Altar, ebenso wie im Headquarter der „All Burma Students Democratic Front“ (ABSDF), die mit ihren viereinhalbtausend Mann starken 19 Bataillonen eine entscheidene militärische Kraft darstellt.

Ihr Generalsekretär Ko Kyaw Kyaw wertet den 18. Dezember 1990, den Tag der Regierungsbildung, als entscheidenen Erfolg der revolutionären Bewegung: „Ich glaube, daß diese neue Regierung in der Lage ist, alle oppositionellen Kräfte zu vereinigen und das Militärregime in Rangoon stürzen kann.“

Von außen betrachtet, sieht die Lage nicht so rosig aus. Das NCG wird nämlich nur dann erfolgreich operieren könne, wenn es, statt der Militärregierung von Rangoon, als einzige legitime Volksvertretung von den internationalen Regierungen anerkannt und untestützt wird. Genau darum bemüht sich zur Zeit Premierminister Dr. Sein Win auf seiner Tour rund um die Welt, die ihn voraussichtlich Ende Januar nach Deutschland führen wird. Bis jetzt gab es noch keine offiziellen Reaktionen aus dem Ausland. Zuletzt hatte im Oktober die US-amerikanische „International Human Rights Law Group“ jegliche Fortführung der Regierungsgeschäfte durch den juntaabhängigen SLORC als schweren Verstoß gegen nationales und internationales Recht nachgewiesen. Es scheint, als wollten die meisten Staaten weltweit erst einmal abwarten, um die tatsächliche — militärische und politische — Stärke des neuen burmesischen Koalitionsregierung auszumachen.

Nach dem Putsch von 1988 eröffnete die Armeeregierung im ressourcenreichen Burma den „Supermarkt der Rohstoffe“, um schnell an Devisen für Waffen und Munition zu gelangen. Ungerührt von offiziellen Protesten ob der gravierenden Menschenrechtsverletzungen schlossen Firmen aus aller Welt Verträge mit der Militärjunta ab, erwarben Abholzungskonzessionen der immer noch riesigen Teakholzbestände, weitreichende Fischerei- und Ölexplorationsrechte. Auch mit dem Ausverkauf der enormen Wolframreserven und Edelsteine wurde begonnen. „Das Militär verschleudert die Rohstoff einzig um sich selbst und seiner mittlerweile 220.000 Mann starken Armee das Überleben zu sichern“, so der Minster für Bergbau, Energie und Ressourcen.

Was aber soll, nach Vorstellung der neuen Regierung, mit all den Verträgen geschehen, die seit dem September 1988 zwischen einzelnen Firmen und der Militärjunta abgeschlossen wurden? „Wir werden jeden einzelnen Vertrag mit ausländischen Firmen prüfen und neu überdenken müssen. Und nur solche, die sich im Interesse des ganzen Volkes fortführen lassen, werden weiterhin gültig sein.“ Im Klartext könnte das zum Beispiel ein jähes Ende von Shells, Amocos oder Unocals Ölbohrungen bedeuten, vielleicht auch den thailändischen Edelsteinhändlern die Sektlaune vermiesen, in jedem Fall aber die Geschäfte der Teakholz-Mafia verderben. Es ist nicht auszuschließen, daß der Ausverkauf von Burmas Ressourcen, maßgeblich zur Stabilisierung der Militärjunta nach 1988 beigetragen hat und die zögerlich-abwartende Haltung der internationalen Regierungen erklärt. Vor diesem Hintergrund ist Minster U Bo Hla Tints Appell zu verstehen: „Wir fordern die Weltöffentlichkeit und die Vereinigten Nationen dazu auf, jegliche Wirtschaftshilfe und Handelsbeziehungen mit der Militärjunta einzustellen.“

Ob sich die Gegenregierung halten kann, hängt maßgeblich von Thailands Position ab. Bisher kooperierte (und profitierte) man — politisch scheinbar indiffernt — zur gleichen Zeit mit den untereinanander verfeindeten Nachbarn. Der Bürgerkrieg wäre ohne die halbwegs offene Grenze als Fluchtweg bzw. Schwarzhandelszone längst zu Ende: Mit Teakholz finanziert sich nämlich nicht nur das Militär, sondern genauso die Oppostion. Auch der Handel mit Opium wird hier abgewickelt — im „Goldenen Dreieck“ wird etwa die Hälfte des Weltbedarfs produziert, was vor allem im Waffenhandel eine entscheidende Rolle spielt. Auf der anderen Seite pflegten das offizielle Thailand und das Militär distanziert lukrative Beziehungen zur burmesischen Hauptstadt. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen thailändischen Außenministers Arthit Urairat war Ende Dezember der Höflichkeitsbesuch in Rangoon, der in aller Länge im Fernsehen übertragen wurde und die freundschafltichen Beziehungen zwischen beiden Staaten unterstrich. Nach Auskunft des Informationsministers sollen sich aber mittlerweile schon ein knappes Drittel der thailändischen Parlamentabgeordneten für eine offizielle Anerkennung und Unterstützung der Gegenregierung ausgesprochen haben. Würde Thailand eine klare Position beziehen, könnte sich tatsächlich ein Ausweg aus dem jahrzehntelangen Bürgerkriegsdilemme abzeichenen.

In Burma sind ethnische, militäriche, soziale, ökologische und wirtschaftliche Problem aufs komplizierteste miteinander verknüpft. Es wäre eine Illusion zu glauben, die politisch unerfahrene Gegenregierung würde im Moment des herbeigesehnten Sturzes der Junta mit Patenlösungen aufwarten. Dennoch: in Manerplaw scheint die Regierungsbildung die konkrete Arbeit für eine förderalistisch-friedliche Zukunft Burmas zu beflügeln. Ein neuer Verfassungsentwurf, der allen Ethnien das Recht auf kulturelle Eigenständigkeit zusichert, soll nächste Woche vorliegen, das Forstwirtschaftsministerium arbeitet an einem Programm zur Rettung des Regenwalds und so weiter. Die Revolution, so der Informationsminister, sei in einer Phase, wo innenpolitisch alle Voraussetzungen für Demokratie in Burma geschaffen seien. „Jetzt ist es an der Weltöffentlichkeit, jegliche Wirtschaftsbeziehungen zur Militärjunta abzubrechen. Nur mit diesem Impuls von außen können wir die Revolution vorantreiben.“