Stumm im brennenden Haus

■ Die deutsche Friedensforschung und die Golfkrise

In der ersten Bundesrepublik (1949 bis 1990) gab es, seit Ende der 60er Jahre eine zunächst schüchterne, dann staatlich geförderte und schließlich, trotz aller Rückschläge mehr oder weniger etablierte Friedensforschung mit Lehrstühlen, Konferenzen, Vereinigungen, Forschungsprojekten und was so zum akademischen Betrieb dazugehört. Mitte der 80er Jahre entdeckten auch die DDR-Wissenschaftsbehörden, daß man da mitziehen müßte und schickten ihre Leute ins Feld; für nicht wenige im „zweiten Glied“ war das eine Chance, sich aus den oktroyierten Dogmen zu befreien. Inzwischen gibt es fast mehr Friedensforscher an den ehemaligen DDR-Universitäten, als im Westen, und die Zusammenarbeit wird zunehmend intensiver. Man bemüht sich nun gemeinsam um mehr Mittel, Forschungsprojekte, Institute, Lehrstühle, die Versammlungen der Friedensforscher werden zahlreicher und voller. So weit, so gut.

Rüstungskontrolle, Abrüstung, vetrauensbildende Maßnahmen, Strategie der Konfliktlösung sind oder waren Themen, über die alle irgendwie arbeiteten und diskutierten. Als sich nach dem kleinen Paukenschalg des großen Erfogs der Referendumskampagnen „Schweiz ohne Armee“, auch für das vereinte Deutschland die reale Chance der Entmilitarisierung — „Bundesrepublik ohne Armee“ — einstellte, schwiegen die Friedensforscher und überließen eine solche Initiative den zersplitterten Restgruppen der Friedensbewegung, die das potentiell große Thema zum Profilierungskampf konkurrierender Aufrufe und Minikampagnen zerrangelten. Sie beschäftigten sich lieber mit Wissenschaftlichem. Die gegenwärtige Golfkrise ist für die allzu etablierte Friedensforschung eine noch größere, dramatischere Stunde der Wahrheit — und ihrer Unwahrheit. Zwar haben sich Einzelne hier und da zu Wort gemeldet (taz-Interviews von Senghaas und Albrecht zum Beispiel) aber die Friedensforscher als Gruppe, ihre zahlreichen Institute und Projektmitarbeier — sie haben keinerlei Initiativen entwickelt. Aufrufe und Appelle, die auch einige wenige Einzelne von ihnen/von uns unterschrieben haben, sie gingen aus und wurden formuliert von Nicht-Friedensforschern: von Psychologen, Pädagogen, Nahost-Experten, aber auch von aktiven Basisgruppen. Unterstellt, daß sie alle — die Friedensforscher — besorgt und betroffen sind, wie jeder andere engagierte Bürger auch, von der Gefahr eines Krieges: Wo bleibt ein konstruktives gemeinsames Memorandum, das zum Adressaten haben müßte zumindest die eigene Bundesregierung und das sich der Tatsache stellte, daß deutsche Soldaten nun auch auf dem potentiellen Kriegsschauplatz auftreten? Man überläßt es — wir überlassen es — Johan Galtung, die Problematik in ihrer Komplexität auf konkrete Forderungspunkte zu bringen. Statt dessen wird gebastelt zum Beispiel an einem „Memorandum zur Friedenssicherung nach dem Kalten Krieg“, in dem es um alles Mögliche geht wie Technik-Entwicklung, Bildungskonzeptionen, Benennung neuer Themenfelder — und unterm Strich um die Forderung nach noch mehr zu fördernden Projekten, Lehrstühlen und Zentren, sprich: nach mehr Geld und Arbeitsplätzen für Friedensforscher. Aber das brennende Haus, in dem man selbst sitzt, dem stellt sich die gesammelte akademische Forscherweisheit nicht. Man fragt sich, verzweifelt, womit eine solche Disziplin, die, wenn's darauf ankommt, nichts zu sagen hat, ihre Förderungsansprüche eigentlich glaubt zu verdienen. Ekkehart Krippendorff

Der Autor ist Professor an der Freien Universität Berlin.