Mir macht die Situation angst

■ Petra Kelly, Gründungsmitglied der Grünen und Pazifistin, zur Golfkrise INTERVIEW

taz: Haben Sie eine realistische Vorstellung, wie der Krieg vermieden und gleichzeitig die Souveränität des besetzten Kuweits wiederhergestellt werden kann?

Petra Kelly: Ich bin sehr pessimistisch. Ich habe nicht den Eindruck, daß die Supermacht Amerika und auch die anderen Beteiligten die Nerven bewahren und in der Lage sind, das Embargo auch nach dem 15. Januar fortzusetzen. Das wäre mein Wunsch: streng, ganz lange und mit sehr viel Geduld das Embargo fortzusetzen. Mein Eindruck ist aber, daß man bereit ist, diesen Krieg zu führen. Und dagegen bin ich natürlich. Mir macht diese Situation angst, weil ich sehe, daß wir hier alle in der Bundesrepublik — nicht nur die Friedensbewegung — wie gelähmt auf dieses Datum starren. Mich macht das ganz ohnmächtig.

Ein Erfolg des Embargos könnte zur Folge haben, daß Hussein mit einem kriegerischen Akt versucht auszubrechen. Besteht nicht die Gefahr, daß ein erfolgreiches Embargo die Kriegsgefahr erhöht?

Dieter Senghaas und andere Friedensforscher sagen, wenn ein lückenloses Embargo durchgesetzt werden soll, dann muß man gleichzeitig ein Containment versuchen und — so argumentieren Pazifisten — mit militärischen Mitteln alles tun, damit er nicht ausbrechen kann. Trotzdem denke ich, die gewaltfreien Mittel sind noch längst nicht ausgeschöpft. Gewaltfreiheit versucht man immer nur ein paar Minuten, und wenn sie nicht funktioniert, probiert man es gleich wieder mit Gewalt. Ich stelle mir vor, die religösen Persönlichkeiten, sei es der Dalai Lama, sei es der Papst, wer auch immer, müßten in der Lage sein, nach Israel oder auch nach Bagdad zu reisen und alles versuchen, vor der Weltöffentlichkeit mit Saddam Hussein in den Dialog zu kommen, aber auch in Israel ein Zeichen zu setzen und zu sagen: Wir bleiben hier, auch wenn es einen Angriff geben sollte. Das sind natürlich ungewöhnliche Vorschläge. Auch die neutralen Länder haben ihre Rolle noch nicht gespielt. Und die UNO hat versagt, weil sie andere Möglichkeiten nicht mehr nutzt.

Die Amerikaner besetzen die ganze Debatte — doppelbödiger geht es nicht mehr. Während wir die ganze Zeit über Saddam Hussein reden, der mit Recht zurückgewiesen werden soll, läuft in Kambodscha der Krieg weiter. Pol Pot ist nicht ein Deut besser als Hussein. Aber die Amerikaner haben ihn jahrelang unterstützt und geduldet, daß Waffen an ihn geliefert werden.

Woran liegt es, daß trotz aller Warnungen ausgerechnet die Deutschen an der Herstellung von Massenvernichtungswaffen im Irak beteiligt sind?

Am schlimmsten finde ich, daß auf der einen Seite immer öffentlich gesagt wird, man habe versucht, diesen Rüstungsexport einzudämmen. Andererseits haben wir Grünen im Bundestag im letzten Jahr versucht durchzusetzen, daß die Herstellung aller Anlagen, die geeignet sein könnten, zum Beispiel Giftgas zu produzieren, verboten werden. Wirtschaftsminister Haussmann hat das in der Debatte Stück für Stück verwässert. Wenn man die Debatten heute nachliest, begreift man sehr genau warum. CDU-Abgeordnete sagten in der Diskussion: Wir dürfen uns nicht selbst beschränken. Der Berliner CDU-Abgeordnete Kittelmann etwa erklärte, wir dürften unserer Exportindustrie nicht solche Beschränkungen auferlegen.

Die Verlängerung des Embargos kann auch bedeuten, daß Saddam die atomaren Waffen zu Ende bauen kann?

Wenn man am 15. Januar die Nerven verliert und tatsächlich bereit ist, wie Bush und Chenney ankündigen und wie das in amerikanischen Zeitungen sehr deutlich wird, den ersten nuklearen Schlag zu führen, dann ist sowieso alles gelaufen. Dann gibt es Millionen Opfer, das Fall-out. Da setze ich auf jeden Fall auf andere Perspektiven.

Hat Bush nicht den Ersteinsatz von Atomwaffen ausgeschlossen?

Sie schließen ihn nicht aus, wenn Hussein mit chemischen Waffen angreift. Und ich schließe nicht aus, daß Saddam Hussein sofort dreckige chemische Waffen einsetzt. Mich entsetzt es schon, daß der Bundestag erst am Montag, dem Tag an dem das Embargo ausläuft, diskutiert. Ich habe schon im Oktober gefordert, daß der Bundestag den Stop jeglichen Rüstungsexports beschließen soll. Denn das ist die einzige Aufgabe, die die Deutschen zu lösen haben, weil sie wirklich direkt oder indirekt den Holocaust mit dem Rüstungsexport weiter verlängern. Es gab damals keine Möglichkeit, ernsthaft darüber zu debattieren.

Wenn Israel tatsächlich mit Massenvernichtungswaffen angegriffen wird, kann dann eine radikalpazifistische Position noch durchgehalten werden?

Ich, für mich selber, möchte niemals Gewalt anwenden. Ich sehe selber keinen Weg, Gewalt anzuwenden. Aber bezogen auf die Drohungen gegenüber Israel ist es natürlich tragisch zu beobachten, daß auch die Weltöffentlichkeit zusieht, hinstarrt und die Israelis zum Teil aus dem Land abhauen, weil sie berechtigte Angst vor einer weiteren Auslöschung haben. Deshalb meinte ich ja vorhin, es müsste einen Weg geben, daß religiöse Persönlichkeiten und andere nach Israel fahren und dort bleiben, als öffentlicher Schutz gegen Angriffe. Ich höre dann immer wieder den Einwand: Aber schau mal, was die Israelis den Palästinensern, der PLO angetan haben und immer noch antun. Aber das kann kein Argument sein. Die Weltöffentlichkeit verhält sich auch lethargisch gegenüber Israel. Diejenigen, die nicht pazifistisch argumentieren und auf die Bedrohung Israels eingehen, sagen: Ja, wenn Saddam ein ganzes Land als Geisel hält, muß man militärisch losschlagen. Die Weltöffentlichkeit hat aber bis jetzt nicht funktioniert und klar gemacht, daß das nicht passieren darf, und daß ein Weg gesucht wird, Israel vor dem 15. Januar zu schützen. Bis jetzt konnte Saddam ja Israel so bedrohen, weil genügend Haß, genügend Antisemitismus vorhanden ist und die Leute sagen, es geschieht Israel recht. Solche Argumentationsmuster habe ich leider auch schon in Kreisen der Grünen gehört. Der Westen hat Hussein elf Jahre gegen den Iran aufgerüstet. Jetzt wird wieder Saudi-Arabien gegen ihn aufgerüstet. Sie alle, Frankreich, Amerika, die Sowjetunion, die Deutschen sie alle haben ihn so aufgerüstet. Es ist, wie beim Schah damals wieder mal schief gegangen.

Was hindert die Friedensbewegung heute daran, handlungsfähig zu werden?

Ich weiß es nicht. Ich sehe nur, daß wir nicht in der Lage sind, so wie in den 80er Jahren gegen die PershingII und die militärischen Einrichtungen, dieselbe Energie und Kraft gegen die deutsche Rüstungsindustrie einzusetzen. Die Empörung ist ausgeblieben. Hinzukommt: Damals, bei der Abrüstungsdebatte, haben wir gegen diese bilaterale Gorbatschow-Reagan-Ebene auch nichts mehr ausrichten können. Es ist so gelaufen, wie die beiden es wollten. Heute ist eine Apathie da, eine gewisse Resignation, die schon im letzten Sommer im Zusammenhang mit China deutlich wurde. China wird wegen seiner Haltung gegen Saddam Hussein wieder hofiert und jetzt bekommen sie alle Kredite und der Tianmen ist vergessen. Die Friedensbewegung hat dazu auch geschwiegen. Sehr hart formuliert: Die Friedensbewegung existiert fast nicht mehr. Es sind nur noch ein paar Grüppchen. Es ist nicht mehr die breite Bewegung. Und ich denke, was uns damals zusammengehalten hat, war — boshaft formuliert —, daß man einfach gegen ein Waffensystem auftreten konnte. Das war sehr leicht, konnte sichtbar gemacht werden. Es war nicht ein so differenziert zu sehender, ein so vielfältiger Konflikt. Aktionen, die ich in England, in Irland auch in den USA erlebt habe in den letzten Monaten, zeigen, daß da doch eine ganze Menge an Protesten läuft. In den USA sind schon viele im Gefängnis wegen symbolischer Aktionen gegen einen Krieg im Golf. Da gibt es schon wieder einen Ansatz von Bewegung, der ist hier nicht da. Auch ein internationaler Ansatz fehlt hier. Ich bin wirklich überrascht, wie viele hier sagen, nee, ich mache da nicht mehr mit, man kann eh nichts gegen einen möglichen Krieg am Golf ausrichten. mtm