Geheime Krisensitzung in Jugoslawien

Nur ein neuer Unionsvertrag verspricht noch eine Rettung vor dem Chaos und vielleicht vor dem Krieg  ■ Von Roland Hofwiler

Berlin (taz) — Irgendwo in Jugoslawien trafen sich gestern die Politgrößen des Balkanstaates zu einer Krisensitzung. Glaubt man den Medien, so sollen die obersten Militärs, die Präsidenten der Republiken und Provinzen und die Spitzen aus der Bundesregierung an einem runden Tisch über die Schicksalsfrage des Vielvölkerstaates beraten: Läßt sich ein neuer „Unionsvertrag“ finden oder versinkt Jugo-Slawien, das Land der Süd-Slawen, in Chaos und einem Bürgerkrieg? Hiesige Journalisten sind sich darin einig, daß dies der allerletzte Versuch ist, auf dem Weg über Verhandlungen die vollkommen verfahrene politische Lage zu entspannen.

Wenige Stunden vor dem Beginn des Gipfels beharrten alle Seiten noch auf ihren bekannten Positionen. In den gestrigen Morgenstunden meldete Radio Zagreb, die kroatische Republiksregierung denke nicht daran, einem Ultimatum des Staatspräsidiums nachzukommen und die bewaffneten Bürgerwehren aufzulösen. Ähnlich äußerte sich Radio Ljubljana: Es sei eine „gefährliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten Sloweniens“, der Republik den Aufbau einer eigenen Armee zu verwehren. Man sei schließlich nicht im Baltikum, so der Sender weiter, und man denke nicht daran, von der Eigenstaatlichkeit abzulassen. Dagegen konterte das bolschewistisch geprägte Massenblatt 'Politika Express‘, in Ljubljana hause eine „Garnitur von Konterrevolutionären und Staatszerstörern“. Und auch die Stimme von Regierungschef Markovic fehlte nicht. Vor wenigen Tagen, bekannte er, habe er fast mit dem Gedanken gespielt, den Ausnahmezustand landesweit zu verhängen. Der Grund: Die serbische Provinzregierung hatte Dinar-Scheine im Wert von zwei Milliarden D-Mark schwarz gedruckt. Das brachte nicht nur die Gefahr einer Inflation mit sich, Markovic befürchtet nun auch, daß westliche Finanzpartner seine Reformpolitik als unseriös qualifizieren und den Kredithahn vollkommen zudrehen könnten. Aus der südlichsten Republik vernahm man vor dem großen Gipfel Töne ganz eigener Prägung: Die Mazedonier seien eines der unterdrücktesten Völker des Balkans, bei jeglicher Neuordnung des jugoslawischen Staatswesens müsse die offene Grenzfrage zu Bulgarien und Griechenland berücksichtigt werden. Denn das Ziel der neuen Republiksregierung im Skopje zielt nicht nur auf die Eigenstaatlichkeit in den bestehenden Grenzen, wie es die Slowenen anstreben. Man möchte „auf friedlichem Wege“ Mazedonien bis Thessaloniki ausdehnen.

Wie sich aus all diesen extrem nationalistischen und sich gegenseitig ausschließenden „neuen“ Staatsvorstellungen an einem runden Tisch ein Kompromiß herauskristallisieren könnte, ist den meisen Jugoslawen ein Rätsel. Der CIA stellte kürzlich die Behauptung in den Raum: Noch 18 Monate, und dann gibt es kein Jugoslawien mehr, aber möglicherweise Bürgerkrieg auf dem Balkan. Die erste Behauptung sei ernst zu nehmen, so der Kommentator des Regierungsblattes 'Barba‘, zu der zweiten dürfe es nie kommen.