Einen Tag lang ein Trugbild vom Frieden

Warum in Genf sämtliche Beobachter den ganzen Tag über eine völlig falsche Einschätzung verbreiteten / Die Chancen auf Frieden scheinen sich eher verschlechtert zu haben  ■ Von Andreas Zumach

Genf am Morgen danach: die große Friedenstaube vor dem Hotel „Intercontinental“, am Mittwoch Ort der Begegnung Baker-Asis, ist verschwunden. Ebenso die weißen Fahnen und Tücher, die als Ausdruck des Wunsches nach einer Verhandlungslösung im Golfkonflikt vom Rathaus und zahlreichen Häusern der Rhonestadt wehten. Im Flughafen Cointrin unterstreicht der US-Außenminister, der Genf mit zwölfstündiger Verspätung — und deshalb gleich in Richtung Saudi-Arabien statt Türkei — verläßt, noch einmal seine „Enttäuschung“.

In der UNO-Stadt, die in den letzten Jahrzehnten neben vielen erfolgreichen Verhandlungen doch auch schon zahlreiche diplomatische Fehlschläge und vergebliche Friedensbemühungen erlebt hat, herrscht nach dem Scheitern der Begegnung Baker-Asis eine ungewöhnliche Katerstimmung. Botschaftsvertreter, die Berichte für ihre Regierungen erstellen müssen, erfragen bei Journalisten, die das Geschehen im „Intercontinental“ aus nächster Nähe verfolgten konnten, Informationen und Einschätzungen.

Weltweite Irritationen

Bis in die späte Mittwochnacht wurden viele Korrepondenten noch durch telefonische Nachfragen irritierter Freunde und Kollegen aus ihren Heimatländern wachgehalten: Stimmt das wirklich, was da in den Nachrichtensendungen zu sehen war? Ist hinter den Kulissen nicht doch mehr passiert? Ja, es scheint zu stimmen. Es sei denn, Baker und Asis hätten vereinbart, Teile ihrer Unterredung geheimzuhalten, und auch ihre daran beteiligten jeweils acht Delegationsmitglieder zu Stillschweigen verdonnert. Eine Theorie, die niemand unter den fast 1.000 Journalisten im Tagungshotel ernsthaft aufstellen wollte. Selbst nicht zur nachträglichen Rechtfertigung der falschen Einschätzung, die sie alle — ohne Ausnahme — am Mittwoch neun Stunden lang verbreitet und damit weltweit Hoffnungen auf Fortschritte hin auf eine diplomatische Beilegung des Golfkonflikts geschürt hatten. Noch zu Gesprächsbeginn morgens um elf lautete der Konsens der Beobachter: das Gespräch wird sehr kurz. Beide Seiten werden lediglich ihre bekannten Positionen wiederholen. Mit einem Einlenken des Irak vor dem 15.Januar ist ohnehin nicht zu rechnen. Mit zunehmender Dauer der Begegnung geriet diese Einschätzung ins Wanken, kam unter den Journalisten vorsichtiger Optimismus auf. Die erste Zwischenbewertung des Weißen Hauses nach über zwei Stunden (substantielle Gespräche“) ließ zusätzliche Hoffnungen keimen. Sie wurden weiter verstärkt durch Mitterands Pressekonferenz um kurz nach 18 Uhr: bis zum 15. Januar werde es noch bedeutende Entwicklungen geben, teilte der französische Präsident „unmittelbar nach einem Telefonat“ mit seinem Amtskollegen in Washington mit. Der wiederum war von Baker über den Verlauf der Genfer Gespräche informiert worden. Aus dem Beratungszimmer drang während des gesamten Tages überhaupt keine Information, die diesem Eindruck entgegenstand. Auch nicht nach Beendigung der Gespäche um 19 Uhr.

Alle hielten dicht

Die aus Washington eingeflogenen Korrespondenten der großen US- Medien wurden genauso kalt erwischt wie alle anderen Journalisten, als ein sichtlich erschöpfter und frustrierter Baker eine Stunde später seine Pressekonferenz mit dem Satz begann, er habe während der ganzen sechseinhalb Stunden bei Asis „keinerlei Anzeichen für Flexibilität“ feststellen können.

Der Auftritt von Asis verfestigte den Eindruck, daß die Dinge nach der Genfer Begegnung noch verfahrener sind als zuvor. Als „hanebüchen“, „widersprüchlich“ oder „völlig unglaubwürdig“ empanden die meisten Teilnehmer der Pressekonferenz die Ausführungen des in Genf unter anderem aus der Zeit der irakisch-iranischen Waffenstillstandsverhandlungen 1988 als intelligent und kenntnisreich bekannten irakischen Außenministers. Durfte und konnte er nicht anders reden, zumal er mit Saddam Husseins Halbbruder Al Takriti, dem ehemaligen Geheimdienstchef Iraks und heutigen Genfer UNO-Botschafter, einen Aufpasser in seiner Delegation hatte? Zumindest vordergründig bleibt der Eindruck, daß Hussein jetzt eher noch größere Schwierigkeiten haben dürfte, eine kurz vor dem oder am 15. Januar verkündete Bereitschaft für einen Truppenrückzug der eigenen Bevölkerung und seiner Anhängerschaft in der arabischen Welt zu verkaufen. Darüber hinaus gibt es auch in Genf derzeit nur Spekulationen und die vage Hoffnung, daß UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar, der heute morgen auf seiner Reise von New York nach Bagdad hier einen Zwischenstop einlegt — und dabei vielleicht mit dem algerischen Außenminister und einem hohen PLO-Vertreter zusammentrifft — doch noch etwas ausrichten kann.