Die Beleuchtung unserer Städte

Ein Gespräch mit dem Kameramann Henri Alekan („La Belle et la Bête“) über seine Arbeiten als Regisseur  ■ Von Otto Reiter und Roland Rust

taz: Monsieur Alekan, die Hommage der Wiener Filmfestwochen „Viennale“ (im November vergangenen Jahres, d. Red.) hat in Ihnen einen der führenden Kameramänner der Filmgeschichte geehrt. Neben der Präsentation zahlreicher Werke, die durch Ihre Kameraarbeit Weltruhm erlangten, wurde erstmalig auch auf Ihre eigenen Regiearbeiten aufmerksam gemacht. Soweit bekannt, hatten Sie nie Gelegenheit, bei einem Spielfilm Regie zu führen.

Henri Alekan: Ich bedaure, daß ich nichts wenigstens bei ein oder zwei Spielfilmen Regie führen konnte. Aber ich muß schon zufrieden sein mit den fünf, sechs Kurzfilmen, die ich drehen konnte. Und L'enfer de Rodin („Die Hölle Rodins“, 1958) ist doch zum Beispiel ein Kurzfilm, den ich für so bedeutend halte wie einen Spielfilm.

Sie bezeichnen ihn selbst als einen „film de fiction“?

Allerdings. Es sind siebzehn Minuten voller Ausdruckskraft und heftiger Emotionalität, die eine genaue Vorstellung vom Leben Rodins und seinem Ausdruckswillen geben.

Ein Kameramann, der schließlich unter eigener Regie arbeiten will: Folgt das einer inneren Logik?

Nein. Es ist nur so, daß der Kameramann lediglich auf einer Ebene arbeitet, der Ebene des Bildes bzw. der Komposition des Lichtes, während der Regisseur sich auf einer viel breiteren Ebene ausdrücken kann. Auch als ich mit Jean Cocteau oder Wim Wenders gearbeitet habe, ordnete ich meine Gedankenwelt dem Regisseur unter. Es wird Zeit, daß man die Wichtigkeit der kreativen Rolle des Kameramanns erkennt. Bisher war das Augenmerk — auch der Filmkritik — ausschließlich auf Regisseur und Schauspieler gerichtet. Hier auf der Viennale waren nun die Lichter auf den Kamermann gerichtet, auf einen Kameramann.

Bei den Dreharbeiten zu Sarre, Pleins Feux („Saarland — Glück auf“) führten Sie zum erstenmal Regie, als sie für Henri Bonnière einsprangen?

Die Aufnahmen fanden in einer außergewöhnlichen Situation statt. Damals (nach dem 2.Weltkrieg; Anm.) war das Saarland französisch, eine Änderung des Status stand bevor. Wir waren jedoch bemüht, uns außerhalb des politischen Spiels zu halten. Wir wollten in diesem Film das Desaster des Krieges aufzeigen, den physischen Aspekt des Unglücks. Es gab zahllose Körperbehinderte; die Menschen hausten wie Troglodyten. In harten Bildern, in schwarz-weiß, versuchte ich, den sozialen Aspekt in dieser schweren Zeit aufzuzeigen: das Leben der einfachen Leute, der Landarbeiter, die gleichzeitig Bergleute sind, der Arbeiter in den Kristallwerken, der Stahlwerker.

War das eine Fernsehproduktion?

Nein, es war eine unabhängige Produktion.

Der Film war lange Zeit nicht zugänglich. Wann haben Sie ihn zum letzten Mal sehen können?

Das muß 1947/48 gewesen sein, danach war er verschwunden bis Freunde mir während der Dreharbeiten zu Der Himmel über Berlin sagten, der Saarländische Rundfunk hätte den Streifen — und tatsächlich hatten die eine Kopie, die sie nun für Wien zur Verfügung stellten.

Es war die Rede davon, daß der Text verändert worden sei...

Ursprünglich ist ein Kommentar von meinem Bruder redigiert worden. Doch als uns der Film aus den Händen geriet und MGM ihn übernahm, haben die unter dem damaligen politischen Einfluß den Kommentar fertiggestellt.

Das heißt, die jetzt gezeigte Fassung unterscheidet sich von der, die Sie 1947/48 sahen?

Ja, das ist eine veränderte Version. Es fehlen Szenen, wie die mit der Kunstschule, die wir in den Ruinen drehten und es fehlt vor allem die Schlußsequenz, in der sich die Bergwerksarbeiter versammeln — ein Symbol der Brüderlichkeit, das in der jetzigen Version durch Anspielungen im Kommentar ersetzt wurde.

Die amerikanische Gesellschaft hat mit dem Film gemacht, was sie wollte und ihn umgeschnitten. Er hatte eine einzigartige historische Bedeutung, da es eines der wenigen filmischen Dokumente der Nachkriegszeit im Saarland ist.

In Filmographien heißt es, Sarre, Plein Feux! sei 1944-45 entstanden?

Nein, ich glaube er wurde 1947 gedreht.

Also auf jeden Fall nach dem Krieg?

Selbstverständlich. Vorher wäre das ganz unmöglich gewesen.

Der Film erinnert an Joris Ivens oder auch an Henri Storck...

Sicher, von Ivens wurde ich stark beeinflußt. Seine frühe Dokumentation „De Brug“ („Die Brücke“, 1928), die ich als junger Mann sah, hat mich so tief bewegt, daß ich mir vornahm, solche Dok-Filme zu drehen, die den Erfindergeist des Menschen illustrieren. Zum Beispiel zeigt einer der Filme, die ich gedreht habe, (Ceux du Rail, Regie: René Clément, 1942; Anm.) das Leben eines Mechanikers und Zugführers während 24 Stunden eines Tages.

Es ist naheliegend und reizvoll, Sarre, Plein Feux! mit dem davor entstandenen La Belle et la Bête, ihrem Meisterwerk unter der Regie von Jean Cocteau, zu vergleichen. Auf der einen Seite der realistische Dokumentarfilm, auf der anderen Seite das große poetische Märchen, verbunden durch gemeinsame Motive wie die leuchtenden Augen in geschwärzten Gesichtern...

Diese Verbindung ist sicher nicht gewollt. Nur ist jeder Mensch von seiner Kultur so stark geprägt, daß es auf der Ebene des Unterbewußten physisch-emotionelle Einflüsse gibt, die sich immer wieder äußern. Darüberhinaus gibt es natürlich auf der Ebene des Lichts Gemeinsamkeiten, denn auch beim Dokumentarfilm ist es unerläßlich, bei der Bildgestaltung einzugreifen, um den Bildern ein Maximum an Bedeutung zu verleihen. Wenn man als Kameramann beginnt, ist das Problem, daß man nicht genügend gelebt und Lebenserfahrung gesammelt hat. Ich versuche in meinen Filmen immer, meine eigenen Erfahrungen einzubringen.

Einer Ihrer neuesten Filme, Le songe est de rigueur („Der Traum ist Pflicht“) scheint geradezu eine Apotheose des Lichts zu sein?

Der Regisseur dieses Films, Yann Kersalé, ist ein exzellenter Spezialist für Beleuchtung. Doch nicht für Kinofilme, sondern von Monumenten, Straßen und Gebäuden. Er hat die Zusammenarbeit mit mir gesucht, um einen Film über den Konstruktivismus des Lichtes im Raum zu realisieren. Auf einer kleinen Felseninsel in der Bretagne. Es wurden verschiedene Lichtquellen in natürlicher Umgebung installiert. Die Lichteffekte wurden von einem komplexen elektronischen System dirigiert, das mit den Gezeiten des Meeres, dem Licht und dem Wind verbunden war, wodurch Lichtströme ausgelöst wurden. Auf diese Weise spricht die Natur durch die Elektronik in die Atmosphäre...

Wie erscheint Ihnen, als dem „Meister des Lichts“, die Beleuchtung unserer Städte?

Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Autor eines ambitionierten Projekts, das neue Prinzipien der ästhetischen Beleuchtung von Straßen, Plätzen, Gartenanlagen, kurz des gesamten urbanen Raumes erarbeitet. Die Forschungsbüros von Philips sind daran sehr interessiert und prüfen derzeit die praktische Anwendung bestimmter neuartiger Lichtformen und Werkstoffe.

Durch die Arbeit mit Wenders an Der Himmel über Berlin ist der Name Alekan für immer mit Berlin verbunden. Der seit kurzem ungeteilte Himmel über Berlin wirft ein grelles Licht auf die Probleme der Stadt...

Die Trennung eines Volkes empfand ich als monströs, natürlich habe ich mich über die Zerstörung der Berliner Mauer gefreut. Was die Zukunft bringen wird, weiß selbstverständlich niemand. Aber die Zerstörung der Mauer bleibt zweifellos das Wichtigste in unserem Jahrhundert.