Die Absatzkrise lichtet das Feld der Rüstungskonkurrenten

Aufkäufe kleinerer Hersteller führen zu neuen Rüstungsmultis/ Erst die Euro-Dominanz schafft Voraussetzung für die weltweite Konkurrenzfähigkeit  ■ Von Michael Brzoska

Jahrzehntelang war die westeuropäische Rüstungsindustrie, ökonomisch gesehen, eine Katastrophe. Jetzt, wo die Bedrohung aus dem Osten verschwunden ist, beginnt sie langsam effizient zu werden.

Denn gemessen an der Betriebsgröße US-amerikanischer oder gar sowjetischer Rüstungsbetriebe, sind die vielen Hersteller in den einzelnen westeuropäischen Ländern schon seit Jahrzehnten zu klein. Aber die nationalen militärisch-industriell- politischen Komplexe verschonten die Firmen weitgehend vor internationalem, sprich US-amerikanischem Wettbewerb. Wenn Projekte national nicht mehr durchführbar waren, wurden sie in Kooperation mit anderen Staaten organisiert — aber so, daß Firmen jedes Landes gemäß dem Finanzbeitrag des Staates beteiligt wurden. Das Ergebnis war häufig nicht mehr, sondern noch weniger Wettbewerb mit den entsprechenden Kosten.

Bereits nachlassende Nachfrage und die Aussicht auf stark fallende Beschaffungsaufträge haben die westeuropäische Rüstungsindustrie aufgeschreckt. Noch bevor der organisatorische Rahmen für einen westeuropäischen Rüstungsmarkt organisiert ist — momentan streiten sich die der NATO angegliederten IEPG (Independent European Programm Group) und die EG-Kommission darum, wer hier zuständig ist —, werden auf westeuropäischem Niveau Fakten geschaffen.

Wie in anderen Branchen auch, wird im Rüstungsbereich an übernationalen Superkonzernen gebastelt. Da so lange so wenig lief, geht es nun umso rasanter; British Aerospace und Daimler-Benz sind nach umfangreichen Aufkäufen national absolut dominierend geworden; Siemens und die britische General Electric teilten sich die gleichfalls britische Plessey auf; die französische Thomson kaufte unter anderem diverse Rüstungstochterfirmen der niederländischen Philips; die französische Giat übernimmt die belgische FN; British Aerospace erhält höchstwahrscheinlich Heckler und Koch...

Eine Besonderheit des Rüstungsmarktes ist, daß die Dynamik der Konzentration weniger Ergebnis der Gier der Großen als der Probleme der Kleinen ist. Auch die Großen müssen trotz Golfkrise von einem weiter schrumpfenden Marktvolumen ausgehen und können, selbst wenn sie ihre Marktanteile ausdehnen, kaum mit Umsatzwachstum rechnen.

Beispiel Heckler und Koch: Die mittelständische Firma hoffte auf ein Wunder, G11 genannt, entwickelte zu wenig Alternativen und steht vor der Pleite. Das anfängliche Interesse des französischen Staatskonzerns Giat hätte durchaus in die gegenwärtige Expansionsstrategie der Branche gepaßt: Man kauft die kleineren westeuropäischen Firmen, um weltweit wettbewerbsfähiger zu werden. Giat ist auch ohne H&K auf dem besten Wege, dominierender Hersteller von neuen Infanteriewaffen in Westeuropa zu werden. In ihrer Sammlung fehlt den Franzosen sonst eigentlich nur noch die schweizerische SIG und die österreichische Steyr. In Großbritannien gibt es keinen britischen Gewehrhersteller mehr — wenn statt Giat nun die British-Aerospace-Tochter Royal Ordnance den schwäbischen Kleinkonzern kauft, ändert sich an der Giat- Vorherrschaft nur wenig. Bei Ordnance wurde bisher das Gewehr G3 in H&K-Lizenz nachgebaut; andere Gewehrhersteller gibt es auf der Insel nicht mehr.

Die westeuropaweite Diskussion um Großbeschaffungsvorhaben läßt derweil vermuten, daß der Konzentrationsprozeß durch Auftragsrückgänge weitergehen wird. Ein Fall ist die Beschaffung von neuen Panzern in Großbritannien, die immer wieder verschoben worden ist und nun im Frühsommer entschieden sein soll. Traditioneller Lieferant der britischen Armee sind die Fabriken der Royal Ordnance, deren Panzerfabrikation nach der Privatisierung 1986 bei Vickers eingegliedert worden waren. Vickers bietet den Panzer Challenger 2 an, ein verbessertes Nachfolgemodell des ursprünglich im Auftrag des Schah von Iran entwickelten und in den britischen Arsenalen vorhandenen Challenger 1. Giat offeriert das Modell Leclerc, Krauss-Maffei aus München einen verbesserten Leopard II, den Standardpanzer der Bundeswehr.

Während der Leopard II mit Exporten in die Schweiz und Niederlande bereits erfolgreich angeboten wurde, hat die französische Panzerindustrie seit vielen Jahren keine schweren Panzer mehr ins Ausland verkaufen können. Weiterer Wettbewerber ist General Dynamics aus den USA, die in Zusammenarbeit mit British Aerospace den US-Panzer M-1 anbietet. Letzter ist nicht zuletzt wegen seines günstigen Preises ein sehr attraktives Angebot.

Die Wahl eines britischen Panzers — sprich des Challenger 2 — wäre bis vor ein paar Jahren eine reine Formsache gewesen. Im Zeichen von Wettbewerb und wirtschaftlicher Effizienz — die englischen Beschaffungsbehörden sehen sich hier als Vorreiter — ist das anders geworden. Außerdem sank die Zahl der zu beschaffenden Panzer zunehmend: von zunächst fast tausend bis zuletzt 300, wodurch der Stückpreis des speziell für die britischen Streitkräfte entwickelten Challengers immer höher wurde.

Sollten der M-1, Leopard II oder Leclerc aus dem Wettbewerb als Sieger hervorgehen, wäre das vermutlich das Ende der unabhängigen britischen Panzerindustrie. Vickers hat für diesen Fall angekündigt, die moderne Panzerfabrik in Leeds stillzulegen oder zu verkaufen. Nur wenn die britische Regierung ihre neuen marktwirtschaftlichen Prinzipien über Bord wirft und den Challenger wählt, kann die britische Panzerindustrie die 90er Jahre überleben [was in unser aller Interesse liegen dürfte, d. s-in].

Die französische Panzerindustrie, in mehrere Hersteller aufgespalten, war in jüngster Zeit nicht sehr erfolgreich. Der Leclerc wird allgemein nicht sehr hoch bewertet. Um zumindest im Wettbewerb zu bleiben, haben Renault, die Peugeot- Tochter Panhard, Creusot-Loire —Tochterfirma des Stahlkonzerns Usinor-Sacilor— und Giat eine engere Zusammenarbeit vereinbart, wobei eine spätere Übernahme aller Panzeraktivitäten durch Giat nicht ausgeschlossen wird. Mit der Ankündigung engerer Zusammenarbeit der Firmen im Oktober 1990 war das Angebot an westeuropäische Firmen zu gemeinsamen Aktivitäten verbunden. Allein auf die eigene Stärke glaubt man in der französischen Panzerindustrie in der Zukunft nicht mehr bauen zu können. Inzwischen hat Daimler-Benz mit Panhard eine Kooperation zur Produktion von Schützenpanzern bekanntgegeben.

Schnelle Veränderungen könnte es auch im Bereich des Flugzeugbaus geben, sollte die Bundesregierung tatsächlich aus dem Projekt Jäger—90 aussteigen. Die britische Regierung müßte die erhöhten Kosten tragen, um British Aerospace die Fähigkeit zu erhalten, Kampfflugzeuge zu bauen. Sollte auch sie unter solchen veränderten finanziellen Bedingungen aussteigen, bliebe mit Dassault in Frankreich nur noch ein Hersteller hochmoderner Kampfflugzeuge übrig. Auch wenn die Briten weiterbauten — MBB und Dornier dürften den seit den 60er Jahren mühsam und mit vielen Milliarden Steuergeldern geschafften Anschluß an das westeuropäische Niveau im Kampfflugzeugbau auf jeden Fall verlieren.

So dezimiert die Absatzkrise die Rüstungsanbieter. Noch ist allerdings nicht klar, wie lange nationale Regierungen dagegenhalten werden. Vor allem in Frankreich ist das Politik-Netzwerk um nationale Rüstungsprojekte weiterhin stark. Die politischen Diskussionen um den Ausbau der sicherheitspolitischen Dimensionen der EG-europäischen politischen Union könnten hier in den nächsten Monaten rasch zu Veränderungen führen.