Deutsche Soldaten kaum zu stoppen

■ Bisherige Rechtsprechung in Karlsruhe gegen Mitwirkungsrecht des Parlaments bei Kriegseinsatz im Rahmen der Nato/ Hoheitsrechte nach Meinung der meisten Verfassungsrechtler abgegeben

Bonn (taz) — Bricht der Krieg am Golf aus, beschäftigt er womöglich auch die Verfassungsrichter in Karlsruhe. Sie könnten zur Entscheidung darüber gezwungen sein, ob deutsche Soldaten als Teil der Nato- Eingreiftruppe das Nato-Land Türkei mit Waffen gegen den Irak verteidigen dürfen, ohne daß der Bundestag vorher zugestimmt hat. Nein, meint die Bundesregierung. „Natürlich sind wir Parlamentarier zuständig“, sagt dagegen das SPD-Präsidiumsmitglied Heidemarie Wiczorek- Zeul, „wenn deutsche Soldaten in den Krieg ziehen sollen.“

Von den Verfassungsrichtern hätten jene Oppositionsabgeordneten, die der gleichen Ansicht sind und die sich ihre Meinung im Rahmen eines sogenannten Organstreitverfahrens bestätigen lassen wollen, unmittelbar wenig zu erwarten. Denn vieles spricht dafür, daß der zweite Karlsruher Senat es nicht für verfassungswidrig erklären würde, wenn deutsche Soldaten nur mit Zustimmung der Bundesregierung und ohne die einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages gegen den Irak losschlügen. Damit würde er der herrschenden Meinung in der juristischen Literatur folgen — und der Linie seiner eigenen Rechtsprechung.

Wenn der Irak die Türkei angreift, tritt nach Nato-Recht der sogenannte Bündnisfall ein. Zwar bestimmt Artikel 11 des Nato-Vertrages, daß die Partnerstaaten „gemäß dem ihrer Verfassung entsprechenden Verfahren“ handeln — also der Bundestag zustimmen muß, wenn das Grundgesetz dies fordert. Daß das Grundgesetz dies fordert, bestreiten jedoch fast alle Staatsrechtler hierzulande. Sie behaupten, der Bund habe für den Fall eines Militäreinsatzes am Golf seine Hoheitsrechte ohne innerstaatlichen Vorbehalt auf die Nato übertragen.

Daß Artikel 115a des Grundgesetzes verlangt, ein „Verteidigungsfall“ — also der Angriff mit Waffengewalt auf das Bundesgebiet — müßte von zwei Dritteln aller Bundestagsabgeordneten festgestellt werden, ficht die Vertreter dieser Ansicht nicht an. Zwar legt eine kleine Minderheit ihrer Kollegen diese Verfassungsbestimmung vor dem Hintergrund aus, daß Deutschland erst Nato-Mitglied wurde, als das Grundgesetz schon verabschiedet war und die innerstaatlichen Modalitäten eines Bündnisfalles deshalb verfassungsrechtlich nicht regeln konnte.

Dem folgt der große Teil der deutschen Staatsrechtslehre jedoch nicht. Auch das Bundesverfassungsgericht hat vor etwa sechs Jahren festgestellt, daß die Bundesrepublik in bezug auf Art und Umfang der Bewaffnung — und damit auch in bezug auf die Pershing-2-Raketen — alle Hoheitsrechte an die Nato übertragen hat, als die 1955 in Paris den Nato- Vertrag unterzeichnete. Darum, so die Richter damals, seien jene Abgeordneten, die ein Mitentscheidungsrecht über die Aufstellung der Raketen forderten, nicht in ihren Rechten verletzt.

Daß das Gericht diesmal anders über Hoheitsrechte des Bundes und Mitwirkungsrechte der Parlamentarier entscheidet, ist unwahrscheinlich. Daß es inzwischen etwas anders darüber denkt und dies auch durchblicken läßt, ist dennoch möglich: Spätestens am Beispiel des bevorstehenden Golfkrieges wird auch den Richtern deutlich werden, daß die hochpolitische Frage, wie es die Republik bei einem militärischen Einsatz mit dem demokratischen Prinzip der parlamentarischen Kontrolle hält, auch verfassungsrechtlich beantwortet werden muß. Ferdos Forudastan