Ostpreußen zu Fuß durchwandern

■ Gespräch mit Emma Hartmann (71), Mitglied der Landsmannschaft Ostpreußen, über Heimat u.a.

Noch vor einigen Jahren war es undenkbar: Die Vertriebenen- Organisation „Landsmannschaft Ostpreußen“ will Sowjetbürgern in ihrer ehemaligen Heimat helfen. Dies diskutierte sie vergangene Woche in Bremen.

Die Städte Krasnoznamensk und Dobrovolsk (vor 1945 Haselberg und Schloßberg) im Nordosten des „Gebietes Kaliningrad“ sollen bald Kindernahrung und Medikamente erhalten. Dafür hat die Organisation eine Solidaritätsaktion gestartet, wie es 1914/15 schon einmal eine gab. Dazu ruft sie alle BremerInnen zu Spenden auf.

Diese Aktion des bislang eher als revanchistisch geltenden Vereins war für die taz Anlaß, sich einmal mit einem Mitglied der Landsmannschaft über die veränderte Situation in der ehemaligen Heimat und deren Folgen zu unterhalten.

taz: Warum sind Sie Mitglied der Landsmannschaft Ostpreußen geworden?

Emma Hartmann: Ich kriege ja schon seit Jahren das Ostpreußenblatt. Da stand dann eines Tages drin, daß eine Bastelstube gegründet wird. Da hab ich gedacht: „Ach, wie schön, dann geh du mal dahin.“.

Aber Bastelstuben gibt es ja auch anderswo, deshalb braucht man ja nicht in eine Landsmannschaft einzutreten.

Na ja, eine Beziehung zu Ostpreußen hatte ich eigentlich schon immer.

Was für eine Beziehung war das denn?

Also erst mal bin ich da geboren. Zweitens habe ich mir als junger Mensch vorgenommen: Wenn ich einmal sechzig bin und Rentnerin, dann werde ich Ostpreußen zu Fuß durchwandern.

Wie lange haben Sie in Ostpreußen gelebt?

Bis 1938. Da hat dann meine Schwester gesagt, die war schon in Bremen, ich bin so alleine, komm du man auch hierher. Und dann bin ich zeitig da raus.

Sie sind also nicht vertrieben worden?

Ich persönlich nicht, nein. Ich habe bis dahin in Bismark gelebt, das war eine Moorkolonie.

Für Sie ist Ostpreußen auch heute noch Ihre Heimat?

Ja. Ich werde nie vergessen, wie meine Eltern dort das Moor bearbeitet haben.

Waren Sie denn nach '39 schon mal dort?

Nein. Ich hatte eine andere Einstellung zu der Politik da, darum wollte ich nicht. Und wir konnten ja auch nicht hin. Aber jetzt werde ich es nachholen. Ich finde es nicht richtig, daß man einfach so unsere Heimat abgeschrieben hat, ohne Friedensvertrag und irgendetwas. Ich hab noch so ein Ostpreußenblatt mit, da steht das auch drin. Da kräht kein Hahn nach.

Aber was ist das für eine Heimat, die man seit 50 Jahren nicht mehr gesehen hat?

Es kommt auf die Mentalität eines jeden Menschen an. Je älter sie werden, um so mehr können sie sich an Dinge aus ihrer Kindheit erinnern. Wie gerne wäre ich nach dem Krieg runtergefahren nach Ostpreußen und hätte mir das alles angesehen. Vielleicht wäre ich auch dageblieben.

Wie stellen Sie sich denn das Leben im ehemaligen Ostpreußen heute vor?

Die Mentalität der Polen und der Russen ist ja so, daß die nur das tun, was sie müssen. Der Russe hat ja schon unterm Zaren wenig gehabt, aber jetzt werden ihm von vier Kartoffeln dreieinhalb weggenommen. Und dann denkt der natürlich, wenn ich alles abgeben muß, dann arbeite ich eben nicht mehr. So sieht's da auch sicher aus. Da ist alles verwahrlost.

Würden Sie trotzdem wieder zurückfahren wollen?

Erst muß ich mir das ja mal ansehen. Wenn man da natürlich keine Wohnung hat und keine Einkaufsmöglichkeiten und so weiter, wär' das sicher schwierig. Der Mensch liebt ja das Bequeme.

Und in Bremen gefällt es Ihnen gar nicht?

Doch. Also, daß es mir in Bremen nicht gefällt, will ich nicht sagen. Aber die Zeit hat mich ja damals dazu gezwungen, hier zu leben. Ich bin ja nicht freiwillig hergekommen.

Haben Sie nicht das Gefühl, daß Bremen für Sie eine neue Heimat geworden ist?

Nein, Heimat ist da, wo man geboren ist. Diese Kindheitserinnerungen sind doch das, was das Leben jedes Menschen prägt. So etwas kann man nicht vergessen. Das kommt natürlich auf den einzelnen Menschen an. Mein Sohn sagt zum Beispiel: „Mutter, was willst du denn da?“

Sind Sie deshalb in diese Landsmannschaft eingetreten, weil Sie hofften, irgendwann einmal Ihre Heimat zurückzubekommen?

Nein, deshalb nicht, ich bin ja politisch so weit informiert, daß ich weiß, die Russen geben nichts raus. Was ich aber hirnverbrannt finde, in Kuwait werden unsere Truppen indirekt eingesetzt. Wegen diesem kleinen Flecken Erde, da schreit die ganze Welt. Aber um das, was die Russen den anderen abgenommen haben, da kräht kein Hahn.

Haben Sie nie befürchtet, daß die Durchsetzung Ihrer Forderungen einen neuen Krieg heraufbeschwören könnte?

Wieso, wenn der Russe sagen würde, ihr könnt das Land haben. Man könnte ja verhandeln.

Durch die Perestroika hat sich ja viel verändert. Man diskutiert beispielsweise darüber, in Königsberg eine Freihandelszone einzurichten. Was halten Sie davon?

Wenn die Deutschen, also die einfachen Menschen, da nicht hinkönnen und das nicht rechtlich festgelegt wird, daß dieses Land ihnen gehört, dann finde ich das rausgeworfenes Geld. Wenn das nicht wirklich von Deutschen besiedelt wird, dann wird das sowieso nichts.

Wenn Sie jetzt nach Masuren kommen, sehen Sie, wie das alles verkommen ist. Das hat mir eine Freundin erzählt. Die Häuser sind verfallen und die Äcker verwüstet, obwohl es dort gutes Land gibt.

Früher hat sich Ihre Organisation nur mit der Rückgewinnung der alten Heimat beschäftigt. Jetzt hat man beschlossen alle, die dort leben, auch die Russen, mit Medikamenten und Kindernahrung zu unterstützen. Werden Sie mithelfen?

Ich weiß gar nichts davon, daß wir da jetzt 'was hinschicken wollen, das habe ich jetzt erst von Ihnen erfahren. Also von mir kriegen die keinen roten Pfennig, das steht fest. Was glauben Sie, wer uns geholfen hat, kein Mensch.

Fragen: Birgit Ziegenhagen