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Einer taucht ab, ein anderer auf

■ Zwei bundesdeutsche Schwimmer waren die Stars der Weltmeisterschaften: Michael Groß beendet mit Silber seine Karriere — Jörg Hoffmann gewinnt über 1.500 Meter Freistil Gold und Weltrekord

Perth (taz) — „Zur Strafe müßte er weiterschwimmen, damit er lernt, wie man sich ein Rennen richtig einteilt“, wetterte Hartmut Oeleker, nachdem Meisterschüler Michael Groß sein letztes Einzelrennen verloren hatte. Im Finale über 200 Meter Schmetterling schmetterte der Offenbacher lange auf Weltrekordkurs, hielt das Höllentempo jedoch nicht durch und mußte einem Amerikaner den Vortritt lassen. Melvyn Stewart setzte mit dem neuen Weltrekord von 1:55,69 Minuten das bis dahin größte Ausrufezeichen der Schwimm-Weltmeisterschaften von Perth. Er verhinderte den Hat-Trick von Michael Groß auf dieser Strecke nach seinen Siegen von 1982 und 1986.

Groß bleibt die Genugtuung der ersehnten Staffel-Goldmedaille und die Gewißheit, daß seine gründliche WM-Vorbereitung ihn noch einmal an die eigenen Leistungsgrenzen herangeführt hat. „So schnell bin ich seit fünf Jahren nicht mehr geschwommen. Mehr ist für einen alten Mann nicht drin“, verbarg der fast 27jährige jede Enttäuschung über die Schmetterlings-Silbermedaille. Mit ihm verläßt ein Athlet die Schwimmszene, der für Journalisten und Fans nie an Interessantheit und Widersprüchlichkeit verloren hat. Als Mutter Groß ihren Sprößling 1974 im Offenbacher Schwimmclub angemeldete, konnte sie natürlich nicht ahnen, mit welch penetranter Leistungssucht ihr Michael die vorgegebenen Bahnen in Angriff nehmen würde. Fünf Weltmeistertitel, drei Olympiasiege, dreizehn EM- Goldplaketten und zwölf Weltrekorde ließen ihn nach dem Erfurter Rückenschwimmgenius Roland Matthes zum besten deutschen Schwimmer werden. „Der Glücksfall für den deutschen Sport“ (Willi Daume) wußte auch durch unpopuläre Auftritte immer zu gefallen. Als die Presse 1981 über ihn herfiel, weil er bei seiner ersten Europameisterschaft im 100-Meter-Delphin-Rennen als Sieger nur mit einer Hand anschlug und disqualifiziert wurde, rächte er sich, indem er die Auszeichnung als „Sportler des Jahres“ ein Jahr später boykottierte und statt dessen bei einer Kreismeisterschaft für seinen Verein antrat. Funktionäre fürchteten sein Selbstbewußtsein und seine berechtigte Kritik an ihnen. Sie räumten ihm nie erlebte ('Bild‘-journalistische) Freiräume ein und werden sich nun innerlich freuen, daß nach Michael Groß weit und breit kein neuer Querulant im deutschen Team zu entdecken ist.

In diese Rolle wird sich auch der neue Champion der längeren Freistilstrecken, Jörg Hoffmann, nicht drängen lassen. Der eher zurückhaltende Potsdamer trat die Nachfolge des Kölners Rainer Henkel als Doppelweltmeister an. Mit dem Weltrekord über 1.500 Meter Freistil setzte er sich selbst die Krone auf. Der von den australischen Zuschauern erbarmungslos angetriebene Kieren Perkins trieb Hoffmann zu phantastischen 14:50,36 Minuten. Die alte Bestmarke des Schwimmdenkmals Wladimir Salnikow (UdSSR) wurde um über vier Sekunden weggewischt. Auch Perkins (14:50,58) und der Hamburger Stefan Pfeiffer (14:59,34) blieben in diesem denkwürdigen Rennen unter die Viertelstundenmarke.

Jörg Hoffman hat in der Chemiestadt Schwedt mit dem Schimmen begonnen und seine erste Medaille bei der Kreisspartakiade über 100 Meter Brust (!) gewonnen. An der Seite des 400-Meter-Olympiasiegers Uwe Daßler entwickelte er sich dann jedoch schnell zum Freistilspezialisten. Die Siege von Perth sind der vorläufige Höhepunkt für den 89er Europameister, der damit auch seinem Ex-Armeesportklub in Potsdam den Rücken im Kampf ums Überleben gestärkt haben dürfte.

Weitere Weltrekorde der Ungarin Krisztina Egerszegi über 200 Meter Rücken (2:09,15) und ihres Landsmanns Tamas Darnyi, der über 200 Meter Lagen erstmals die Zweiminutengrenze unterbot (1:59,36), krönten den letzten Tag der Schwimmwettbewerbe und bewiesen, daß man auch im Zeitalter raffinierter Dopingkontrollen noch Rekorde schwimmen kann. bossi

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