piwik no script img

Erst Stasi raus, dann Puck rein

Das „beste Eishockey-Publikum der Welt“ gröhlt sich aus der Krise/ DEG — Kölner Haie 6:2  ■ Von Bernd Müllender

Düsseldorf (taz) — Irgendwer hat einmal, vermutlich ohne Detailkenntnis nordamerikanischer Stimmungsgrade, das Düsseldorfer Eishockey-Publikum als das beste der Welt bezeichnet. Vieles spricht auch dafür: die Phonzahl im größten Eistempel des Landes, die große Sachkenntnis der Besucher, die phantasievollen Gesänge mit immer neuen Kreationen und die aparte Mischung aus bepelzter Edelschickeria auf der Tribüne und den Fans mit ihren Gewohnheitsstammplätzen auf den Stehblocks, wo man reichlich Altbier stilvoll aus Kraftstoffkanistern mit aufgeschraubtem Einfüllstutzen trinkt und dennoch stets so friedlich bleibt, daß der Polizeieinsatz an der Brehmstraße zu den beliebtesten, weil ruhigsten Aufgaben der Beamten gehört. Auch wenn es, wie am Freitag abend, wieder einmal gegen die Kölner Haie geht, den verbal verhaßten Nachbarrivalen, der schallend begrüßt wird: „Auf dem Mond, auf dem Mars, überall nur Kölner Aas.“

Aber auch Legenden bedürfen immer neuer lungenkräftiger Fleißarbeit, um nicht zu verblassen. Das alte Ritual vor Matchbeginn, eine viertelstündige Kürkomposition aus Schunkeln, Wunderkerzenshow und Gesangsduetten zwischen Lautsprecher und Live-Kehlen ist mit den Jahren zum immergleichen Pflichtprogramm verkommen. Ein neuer Fauxpas kommt hinzu: „Wir haben in Düsseldorf die längste Theke der Welt“, singen Tausende a cappella, fragen im Kanon, wo denn ihr Altbier bleibe — und auf der digitalen Anzeigetafel läuft das Video einer Pilsbrauerei. Stillos und unpassend. Welch unwürdiger Kommerz.

Und zuletzt, zweimal gleich, war das Düsseldorfer Publikum erst gar nicht mehr erschienen. Sowohl beim Epsom-Cup mit den großen Edmonton Oilers als auch beim Europacup- Finalturnier war das Zuschauerinteresse blamabel: Da verloren sich bei Duellen europäischer Spitzenteams ein paar hundert auf den Rängen, und selbst bei Spielen der DEG gab es reichlich Lücken auf den Rängen.

Gegen Köln war es natürlich, wie immer, ausverkauft und beängstigend eng unter fast 11.000 Menschen. Aber Präsenz allein reicht nicht. Als Kölns Helmut Steiger Mitte des ersten Drittels die frühe DEG-Führung durch Hannon ausgeglichen hatte, passierte das, was das 'Rot Gelbe Echo‘, die bisweilen pfiffige Zeitung der Fanklubs, schon vorher moniert hatte: „Die Stimmung ist lange nicht mehr das, was sie einmal war.“

In der Tat wurde es erstaunlich still bis weit ins zweite Drittel hinein, man murrte hörbar, und demotivierend wurden die Fehler der eigenen Lieblinge, wie prophezeiht, „mit Pfeifen oder entsetztem Stöhnen kommentiert“. Anders als früher, als es noch „ein Markenzeichen war, daß gerade in schlechten Phasen die Stimmung am besten war“. Fazit aus den eigenen Reihen: Das Publikum habe sich „in den letzten Jahren nicht unbedingt zu seinem Vorteil verändert“.

Was sich in der 28. Minute bestätigte: Als der Berliner Schiedsrichter Müller DEG-Stürmer Chris Valentine wegen unpassender Worte für zehn Minuten vom Glatteis schickte, flogen Dutzende von Feuerzeugen und Altbierbechern aufs Spielfeld, auf daß es erst mal neu poliert werden mußte. Ein Abbruch drohte, und der Stadionsprecher bat keuchend um sofortige Unterlassung, „so was“ sei doch hier „seit über einem Jahr nicht mehr passiert“.

Wirkung zeigte es trotzdem. Weil der schwarze Mann aus der Ex-Osthälfte Berlins stammt, wurde er mit verärgerten „Stasi raus“-Stakkati zurückempfangen. Wohl um den bösen Verdacht sogleich im Keim zu ersticken, stellte er dreimal nacheinander, durchaus diskussionswürdig, einen Kölner für zwei Minuten vom Eise, wofür sich die DEG jeweils mit einem Treffer bedankte. Die Haie kurvten elegant und spielstark, waren vor dem Tor aber so gefährlich wie ein Schwarm Sprotten gegen die wild fightenden Einheimischen, die verletzungsbedingt auf die Topstars Lee und Hegen hatten verzichten müssen. 6:2 hieß es am Ende; und es war nach drei Niederlagen gegen Köln endlich der erste Saisonerfolg, bedeutete die Tabellenführung und die glückselige Erkenntnis, daß es einen höheren Sieg an der Brehmstraße gegen den Erzrivalen zuletzt vor elf Jahren gegeben hatte.

Und die Stimmung war natürlich prächtig, sowohl „unter den echten Fans“ als auch unter den immer häufiger auftauchenden — in der Fanzeitung spitzfingrig apostrophierten — „Eishockey-Touristen“, sensations- und unterhaltungsfreudigen Kreaturen, die nur kommen, um mal dabeigewesen zu sein beim großen Spektakel. So prächtig und ausgelassen, daß in der Schlußminute zwei Zuschauer, aus welcher Kategorie auch immer, gleichzeitig kollabierten und der Notarzt gar nicht wußte, wo er zuerst hinsprinten sollte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen