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Spaniens graue Eminenz tritt zurück

 ■ Aus Madrid Antje Bauer

Ein Jahr lang hat er durchgehalten, hat sich gegen Angriffe und Anklagen mit Beschimpfungen und Intrigen gewehrt, doch am vergangenen Samstag trat er zurück: Alfonso Guerra, Vizepremierminister und Vizegeneralsekretär der spanischen Sozialistischen Partei PSOE und zweitmächtigster Mann im Staate. Das politische Aus für Alfonso Guerra brachte die „Affäre Juan Guerra“, die seit Januar 1989 die Öffentlichkeit empört. Juan Guerra, Bruder des Vizepremiers und bis 1983 arbeitslos, hatte seither sechs Jahre lang als Alfonsos Assistent einen Büroraum der Regierung in Sevilla bezogen. Da er als Assistent des Vizepremiers, der nur an den Wochenenden in Sevilla weilte, unterbeschäftigt war, hatte Juan seine Nähe zur Macht kurzerhand genutzt, um zahlreichen Geschäftsleuten als Makler ihrer Interessen zu dienen — gegen harte Münze, versteht sich. So setzte er sich erfolgreich für die Genehmigung eines riesigen Tourismuskomplexes an der andalusischen Küste ein. Umgerechnet fünfzehn Millionen DM soll Juan Guerra in sechs Jahren aus diesen Geschäften bezogen haben. Darüber hinaus besteht der Verdacht, daß auch die gebeutelte Parteikasse der Sozialisten kräftig an den Gewinnen beteiligt wurde. Seit neun Monaten ermittelt das Landgericht in Sevilla gegen den Bruder des Vizepräsidenten unter anderem wegen Bestechung und Steuerhinterziehung. Alfonso Guerra verneinte von Anfang an jegliche Kenntnis der dunklen Machenschaften seines Bruders, jedoch wirkten die Dementis auf die spanische Öffentlichkeit wenig glaubhaft, da jeder die engen Beziehungen zwischen Alfonso und seinem Lieblingsbruder kennt. Die Rücktrittsforderungen seitens der Opposition konterte Felipe Gonzalez vor einem Jahr mit der Drohung, wenn Alfonso Guerra gehen müsse, verlasse auch er die Regierung. Tatsächlich schien ein Ende des unzertrennlichen Tandems Gonzalez-Guerra unvorstellbar. Denn seit der Regierungsübernahme durch die Sozialisten 1982 hatten die beiden gemeinsam die Zügel des Landes in der Hand gehalten und das aufgebaut, was als „Felipismus“ bekannt wurde und sowohl in Lateinamerika als in letzter Zeit auch in osteuropäischen Staaten als Modell für eine gelungene Modernisierungspolitik galt. Während Felipe als Staatsmann auftrat und eine liberale Wirtschaftspolitik verteidigte, hielt Guerra mit Klassenkampfparolen Arbeiter und Bauern bei der sozialistischen Stange. Gleichzeitig baute er innerhalb der Sozialistischen Partei ein umfangreiches Informations- und Kontrollsystem auf, das ins staatliche Fernsehen und in die Presse, in Gewerkschaften und Unternehmen hineinreichte und den Spruch wahrmachte: „Wer sich bewegt, kommt nicht mit aufs Foto.“

Doch trotz — oder wegen — aller Rigidität war es in den letzten Monaten zu internen Auseinandersetzungen der Sozialisten über die autoritäre Parteiführung gekommen, und bei einer Auseinandersetzung zwischen dem Wirtschaftsminister Carlos Solchaga und Guerra hatte sich vor kurzem Felipe Gonzalez erstmals nicht auf die Seite seines Vize gestellt. Auf dem letzten Parteikongreß im November hat Guerra seine Machtposition gefestigt. Daß er bei seiner Rücktrittsankündigung erklärte, sich nun voll auf seine Pflichten in der Parteiarbeit konzentrieren zu wollen, ist eine Warnung an Felipe Gonzalez: Von jetzt an wird er mit einer Gegenmacht aus seiner eigenen Partei heraus rechnen müssen.

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