„Wollt ihr den totalen Golfkrieg?“

■ „Verweigert euch allen Kriegstreibern, denen euer Leben scheißegal ist“

Bad Segeberg (taz) — Die Vorsehung scheint dem Zivildienstleistenden Olav Baier, 21, Grips und Hand zu führen. Am 15. November letzten Jahres, exakt zwei Monate vor einem möglichen Krieg zwischen den USA und dem Irak, führt er im schleswig-holsteinischen Bad Segeberg eine seltene pazifistische Widerstandsaktion durch.

Um gegen die staatsanwaltschaftliche Durchsuchung der Bonner Parteizentrale der Grünen (wegen Aufruf zur Desertion) zu demonstrieren, verteilt der bei der Sozialstation des Roten Kreuzes Beschäftigte im Dienst Flugblätter. Überschrift: „Wollt ihr den totalen Golfkrieg?“. Ganz unzweifelhaft werden damit Bundeswehrsoldaten zur Fahnenflucht aufgerufen: „Verweigert euch allen Kriegstreibern, denen euer Leben scheißegal ist“. Nicht nur, daß dem Zivildienstleistenden solcherart politische Äußerung in seiner Arbeitszeit verboten ist, nein, Olav Baier geht noch weiter. Nicht die Omas und Opas, die er mit warmem Essen versorgt, und denen er beim Einkaufen hilft, bekommen die Pamphlete in die Hand, sondern die direkt Betroffenen in olivgrün. Baier verteilt seine 40 Flugblätter direkt in der Lettow-Vorbeck-Kaserne seiner Heimatstadt. Dort wird der Zivildienstleistende am 15. November von seinem Arbeitgeber, dem Roten Kreuz, bei einer Blutspendeaktion eingesetzt. Er muß dort das anschließende Kräftigungsfrühstück bereiten.

So deckt Baier, der vorher beim Roten Kreuz durchaus seine Bedenken zum Zivi-Einsatz auf Militärgelände geltend gemacht hat, also am 15. November in der Kaserne brav die Tische. Zunächst legt sich Baier beim Rangieren mit dem Rotkreuzfahrzeug mit einem Spieß an. Der fühlt sich beim Morgenappell gestört und läßt Baier beinahe festnehmen, als dieser pampig wird. Dann beginnt Baier im Früstücksraum die geplante illegale Aktion: Die rund 40 Flugblätter dienen als Tellerunterla“ztge, auch unter die Rotkreuzbroschüren mischt Baier einige „Flugis“, steckt auch welche hinter Autoscheibenwischer. Schnell verläßt er dann zu Fuß das Kasernengelände. Soldaten entdecken die Flugblätter, es entsteht Trubel auf Alarmstufe eins. Baier meldet sich bei seiner Dienststelle und bittet darum, daß ein Kollege das Rotkreuzfahrzeug später vom Gelände holt. Nach Angaben von Baier erhält das Rote Kreuz zunächst Kasernenverbot. Eine Woche später verhängt das Bundesamt für Zivildienst eine Disziplinarstrafe von 150 Mark wegen unerlaubter politischer Stellungnahmen im Dienst. Auf Antrag des Roten Kreuzes wird Baier zu einer anderen Dienststelle versetzt. Der Desertionsfan gefährde den „Betriebsfrieden“, habe „dem Ansehen des Deutschen Roten Kreuzes geschadet“. Jetzt fällt erst recht ins Gewicht, daß der aufmüpfige Zivi bereits mit einem Anti-Nato-Plakat an der Tür seiner Dienstunterkunft im Kreiskrankenhaus unangenehm aufgefallen ist. Am Einheitstag hängte er gar ein Bettlaken mit dem Spruch „Deutschland Fuck Off“ aus dem Fenster.

Kommentar des Roten Kreuzes Bad Segeberg auf Nachfrage der taz: keiner. Der Chef der Lettow-Vorbeck-Kaserne, Major Sprenkelmann, ist immer noch verärgert über die „Premiere“. Er sei „sauer“ gewesen, daß jemand in seiner Kaserne zu einer Straftat aufgerufen habe. Er empfinde sich aber als „tolerant“, denn schließlich habe er nicht die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, sondern auf das Disziplinarrecht vertraut. Grundsätzlich habe er nichts gegen Zivis, auch nicht auf seinem Gelände. Viel schlimmer seien „die Drückeberger“, will heißen: Totalverweigerer. Das Rote Kreuz dürfe schon in dieser Woche wieder eine Blutspendeaktion in der Lettow-Vorbeck-Kaserne machen.

Die Sprecherin des Bundesamts für Zivildienst, Matuschak, sieht nichts Anrüchiges am Einsatz eines Zivildienstleistenden auf Bundeswehrgelände. Zivis seien durch das „Grundgesetz vorm Dienst an der Waffe geschützt“, Arbeit in der Kaserne sei möglich, solange sie inhaltlich nichts mit dem „Auftrag der Streitkräfte“ zu tun habe. Allerdings halte sie es für „ungeschickt, da jemand hinzuschicken, der selbst Bedenken geäußert hat, dort tätig zu werden“. Für Olav Baier selbst sind die Vorgänge um seine Flugi-Aktion der beste Beweis für die Einbindung des Ersatzdienstes in den Kriegsdienst. Hans-H. Kotte