Inkognito in asiatischen Nobelhotels

Neue Enthüllungen über von der Industrie bezahlte Luxusurlaube zwangen Lothar Späth zum Rücktritt/ Der Stuttgarter Landesvater reiste unter dem Decknamen „Schwab“/ Die Geschäftsfreunde konnten mit politischen Gegengaben rechnen  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

In der „Harmonie“ zu Heilbronn steht der Mann am Freitag abend noch mit der Hand in der Hosentasche und läßt in einer seiner unterhaltsamen Reden die Gedanken über den Golf und den Frieden, die Weltwirtschaft und Europa ins geliebte Baden-Württemberg schweifen. Die 2.000 geladenen BürgerInnen hören aufmerksam zu, beklatschen ihren „Lothar“. Am Ende kommt der Landesvater dann auf jene unangenehmen Sachverhalte zu sprechen, auf die alles gespannt wartet: der bevorstehende Untersuchungsausschuß soll baldmöglichst „eine schnelle, objektive und einwandfreie Klärung“ der Vorwürfe vornehmen. Doch viele seiner Freunde haben sich am diesjährigen Neujahrsempfang bereits von dem wegen seiner Extratouren schwer angeschlagenen Ministerpräsidenten Lothar Späth abgewendet; die Opposition blieb dem Sektempfang weitgehend fern. Und während Rücktrittsforderungen laut werden und das CDU-Präsidium über seine politische Zukunft brütet, wird Lothar Späth weiter von seiner Urlaubsvergangenheit eingeholt, aus der es kein Entrinnen mehr zu geben schein. Am späten Sonntag nachmittag war es dann soweit: Späth gibt auf der Klausurtagung seiner Partei seinen Rücktritt bekannt.

Mit neuen Informationen über teure Vergnügungsreisen, zu denen sich der unbekümmerte Ministerpräsident von seinen spendablen Unternehmerfreunden einladen ließ, legt der 'Spiegel‘ nach. So brach der Schwabe Späth im Oktober 1989 inkognito zu einem Luxusurlaub in Malaysia auf. Den Solo-Ferientrip in ein Fünf-Sterne-Hotel in Penang, wo sich der Regierungschef angeblich in einer 2.000-D-Mark Suite „verwöhnen“ ließ, habe der Wirtschaftsanwalt und ehemalige Blendax-Generalbevollmächtigte Lothar Stobel arrangiert und bezahlt. Der Regierungschef, so der 'Spiegel‘, reiste damals unter dem Decknamen Schwab. Gereizt wurde aus dem Stuttgarter Regierungspräsidium gekontert, Späth sei im selben Monat nachweislich nicht ins außereuropäische Ausland geflogen, habe aber während seiner Amtszeit wiederholt den Fernen Osten besucht, im August 1989 auch Malaysia. Und, schob Regierungssprecher Zach nach, Späth sei mehrfach ohne Begleitschutz mit Decknamen verreist, wie es das Landespolizeipräsidium aus Sicherheitsgründen angeordnet habe. Dazu erhielt Schwabe Späth im Juli 1979 sinnigerweise einen Personalausweis auf den Namen „Schwab“, im September '84 einen weiteren auf einen anderen Namen.

Von dem Blendax-Boß Stobel hatte sich Späth bereits andere Dienst- und Urlaubsreisen finanzieren lassen, darunter 1985 auch einen Familienaufenthalt auf dessen Landsitz in Irland. Im Januar 1987 ließ sich Späth auf der Luxusjacht „Marie Alexandra“ des Elektroindustriellen Max Grundig bei einer Karibik- Kreuzfahrt bewirten. Für den Flug von Paris nach Martinique (die taz hatte am Samstag darüber berichtet) charterte Grundig für seine acht Passagiere eigens eine Concorde. Kosten für den 100sitzigen Überschalljet: über eine halbe Million DM. Auch den Rückflug mit einer Linienmaschine, den Späth wegen dringender Amtsgeschäfte bereits nach vier Tagen antrat, soll der Industrielle berappt haben. Späth hatte bei seiner Rechtfertigungs-Pressekonferenz am vergangenen Montag den Grundig-Segeltörn bereits angedeutet: Er sei schon auf schöneren Yachten als auf dem von Lohr-Chef gecharterten „Agäis-Traumschiff“ gesegelt; der Grundig-Liner sei „dreimal so lang“ und habe „20 Mann Besatzung“.

Pfingsten 1990 verbrachte Späth mit Familie schließlich im Pharaonenstaat Ägypten, diesmal auf Rechnung der befreundeten Familie Hetzel. Wenige Wochen zuvor ereignete sich in Stuttgart laut „Spiegel“ ein „eigenartiger Vorgang“: Ein Förderprogramm, im Staatsministerium ausgearbeitet, sollte mit Zinszuschüssen von 400.000 D-Mark die Modernisierung eines Dresdener Campingplatzes unterstützen. Interessent des Projekts war der Reiseveranstalter Hetzel. Aus dem Staatsministerium wurde sogleich dementiert: zwischen Späths Ägypten-Aufenthalt und „irgendwelchen Investitionsfördermaßnahmen in Dresden“ gebe es keinerlei Zusammenhang; für einen Campingplatz seien weder Gelder beantragt noch bezahlt worden.

Doch der schwerwiegende Vorwurf, Späth habe sich für seine gesponsorten Reisen mit politischen Gaben revanchiert, ist nicht so leicht von der Hand zu weisen: Späths Geschäftsfreunde haben öfters abgesahnt, wenn Späth als Außenminister des Exportweltmeisters Baden- Württemberg für sie im Ausland „Türöffner“ spielte. Aber auch im Inland wurden die Firmen der Späth- Spezis scheinbar bevorzugt: SEL etwa bekam vom Staatsministerium einen Großauftrag über Telefax-Geräte für alle Landesdienststellen zugeschanzt — ohne vorherige Ausschreibung. Auch bei der Genehmigung der SEL-Sonntagsarbeit soll aus der Landesspitze heraus Einfluß ausgeübt worden sein. Und immer öfters taucht Späths Name im Zusammenhang mit Wirtschaftsfreunden auf, die vor Gericht stehen: der wegen versuchten Betrugs veruteilte Baulöwe Schlapp etwa, der wegen Subventionsbetrugs bestrafte Sauerkrautfabrikant Manz oder der wegen Betrugs verdächtigte Giftmüllschieber Scheuer. Ins Bild paßt auch der Skandal um Mercedes-Chef Werner Niefer, mit dem Späth ganz persönliche Banden verbinden. Der Automobilmanager hatte im vergangenen Mai am Steuer eines Reisebusses in Rom eine Touristin angefahren und dabei schwer verletzt. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, die gegen Niefer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte, wollte das Verfahren wegen geringer Schuld einstellen, was vom Gericht jedoch abgelehnt wurde. Die Staatsanwaltschaft geriet abermals in Verdacht, gewisse Personen bevorzugt behandeln zu wollen.

„Angesichts der nachweislich falschen Behauptungen“ reagierte Späths Regierungssprecher Zach noch am Samstag abend scharf, „muß der Eindruck entstehen, daß es sich um eine aus Fakten, Halb- und Unwahrheiten gespickte Verleumdungskampagne handelt, die den einzigen Zweck hat, Späth menschlich zu treffen, um ihm politisch zu schaden“. Die „hilflosen Pseudo- Rechtfertigungen“ aus der Villa Reizenstein entlasteten den Ministerpräsidenten keineswegs, gab sich SPD- Fraktionschef unzufrieden: „Nach diesem gescheiterten Dementi muß Späth gehen.“ Spöri hatte zuvor bereits erklärt, wenn Späth nicht umgehend alle bekanntgewordenen finanziellen Verstrickungen widerlegen könne, müsse er zurücktreten.

Die Kritik an Späth wurde auch in der CDU immer lauter: der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Sauer verlangte von seinem Landesvorsitzenden eine „rückhaltlose Aufklärung“. Falls sich die neuen Vorwürfe bestätigen sollten, entstehe eine „neue Lage“. Sein Kollege, der CDU-MdB Paul Hoffacker, legte Späth Konsequenzen nahe. Auch FDP-Vorstandsfrau Hildegard Hamm-Brücher forderte Späth indirekt zum Rücktritt auf.